Geschrieben am 8. April 2010 von für Bücher, Musikmag

Von Get Back zu Let it Be

The End?

Friedhelm Rathjen lauscht den letzten Takten der Beatles und lässt ihre Fans mit seinem neuen Buch aufhorchen. Von Jörg von Bilavsky

Wer bislang glaubte, bei Probearbeiten und Studioaufnahmen bekannter Bands ginge es diszipliniert zu, täuscht sich gewaltig. Die Beatles bieten hierfür das beste Beispiel. Aber was will man von einer auflösungsinfizierten Band anderes erwarten. Im Januar 1969 waren die vier Liverpooler kein Team mehr, sondern eine Gruppe von Individualisten, die sich vor laufenden Kameras für einen ganz besonderen Live-Auftritt vorbereiten wollten. Die 21-tägige Probenarbeit gingen als „Get Back-Sessions“ in die Beatles-Annalen ein. Sie waren der „Anfang vom Ende der Beatles“, wie der Kulturjournalist Friedhelm Rathjen in seiner ebenso akribisch recherchierten wie detaillierten Chronik dokumentieren möchte. Aber lässt sich das aus diesem legendären Zusammentreffen – ein gutes Jahr vor ihrer offiziellen Trennung im April 1970 – überhaupt heraushören? Ja und Nein!

Rathjen hat sich jedenfalls erstmals die Mühe gemacht, das komplette Rohmaterial der später ebenso verkürzten wie irreführenden Filmdokumentation „Let it be“ zu sichten. Anhand seiner peniblen Werkschau möchte er mit Mythen und Halbwahrheiten aufräumen, die nicht nur Journalisten und Musikhistoriker, sondern auch die Beatles selbst in die Welt gesetzt haben. Und das gelingt ihm glänzend. Weil er im wahrsten Sinne des Wortes genau hinhört, nicht nur auf die musikalische Qualität der anfangs so katastrophalen Proben. Rathjen fängt nämlich die Atmosphäre in den Twickenham Studios, später dann in den Apple-Studios auf authentische Art und Weise ein. Wie ein Seismograph registriert der vor allem für seine Übersetzungen bekannt gewordene Autor feinste Anspielungen, Empfindlichkeiten und Stimmungen, analysiert sie und gleicht das sicht- und hörbar Gefühlte mit dem wirklich Gesagten ab. Konflikte, Konzessionen und Kollegialität kommen gleichermaßen ans Licht, das Innenleben der Band wird nach außen gekehrt.

Dominator Paul

Ob die Beatles vor den surrenden Kameras ihre wahren Gefühle und Pläne preisgegeben haben, kann auch Rathjen nicht mit letzter Sicherheit sagen. Allerdings wird beim Blick auf die ersten 14 Tage in den Filmstudios von Twickenham überaus deutlich, dass das vor allem von Paul initiierte Projekt an mangelnder Lust, Konzentration und Perspektive kurz vor dem Aus stand. Paul dominierte die Produktion, John gab sich lethargisch und war zwischenzeitlich Yokos Marionette, George fühlte sich künstlerisch zurückgesetzt und Ringo wartete einfach nur ab. Obgleich Paul die Lage mit den Worten „Disziplin ist das, was uns fehlt“ auf den Punkt brachte, öffnete wohl erst die lautstarke Probenflucht von George am 10. Januar den Anderen die Augen.

Leider weiß auch Rathjen nicht, wie sie ihren Gitarristen zur Rückkehr und so zur mittelfristigen Rettung der Band bewegt haben. Filmaufnahmen aus diesen Tagen fehlen und auch andere Quellen geben darüber keine Auskunft. Mit dem Umzug in die Londoner Apple-Studios am 21. Januar und dem neu gesetzten Ziel einer Plattenproduktion kriegen sie noch einmal die Kurve. Der Mitschnitt und die musikalische Mitwirkung von Billy Preston ermuntert sie erstmals zu diszipliniertem Spiel. Die Songs werden hörbar und die Stimmung spürbar besser. In den letzten zwei Wochen vor dem legendären Rooftop Concert auf dem Studiogebäude scheint der Anfang vom Ende der Beatles in weite Ferne gerückt. „Locker, vertraut und zielstrebig“ ist nach Rathjens Beobachtungen das Klima. Der Bandgeist ist nach wie vor lebendig, so sein Fazit. Bester Beweis dafür ist die ausgelassene Spielfreude bei ihrem letzten öffentlichen Live-Auftritt am 31. Januar 1969.

Glimmen statt Glühen

Insofern führt der Untertitel dieses Buches etwas in die Irre. Betrachtet man die Sessions für sich, ohne die Krisenzeichen davor und danach, ergibt sich letztlich ein eher positives Bild. Erst das „Ende und Nachleben“ lässt die Sessions als den Anfang vom Ende erscheinen. Rathjens Beobachtungen beweisen vielmehr, dass die Beatles im Januar noch nicht am Ende waren. Allerdings ist unübersehbar, dass die Beatles Anfang 1969 nur mehr glimmten statt glühten. Ihnen selbst war das anscheinend kaum bewusst, wie Paul später einmal bekannte: „Tatsächlich passierte Folgendes: Als wir uns für diese Produktion zusammensetzten, zeigten wir im Grunde, wie die Trennung der Band vonstatten geht. Währenddessen war uns das nicht klar, danach schon.“

Es wäre sicher aufschlussreich gewesen, ein wenig weiter vor und zurück zu schauen, um die Verstimmungen der Bandmitglieder und die Ursachen für die Trennung noch besser verstehen zu können. Auch der Vergleich mit den Auflösungsprozessen anderer Gruppen wie der Creams kurz zuvor wäre interessant gewesen. Rathjen leistet das eher kursorisch. Der Beatles-Laie muss letztlich doch auch auf die einschlägigen Bandbiographien zurückgreifen. Sein Buch richtet sich denn auch mehr an die Fans, die das Schicksal ihrer Lieblinge bis in den letzten Winkel ausleuchten und die Entstehung ihrer Songs bis auf die letzten Takes, die letzten Takte nachvollziehen möchten. Ihnen sei mit den letzten Worten der Beatles vom 10. April gesagt: „Die Welt dreht sich immer noch und wir und du mit ihr. Erst wenn sie aufhört sich zu drehen, sollten wir anfangen uns Sorgen zu machen. Nicht vorher. Bis dahin geht es den Beatles gut und der Beat geht weiter, der Beat geht weiter…“

Jörg von Bilavsky

Friedhelm Rathjen: Von Get Back zu Let it Be. Der Anfang vom Ende der Beatles. Berlin: Rogner & Bernhard bei Zeitausendeins 2009. 338 Seiten. 19,90 Euro.