Geschrieben am 12. Februar 2011 von für Bücher, Crimemag

Jake Adelstein: Tokio Vice – Eine gefährliche Reise durch die japanische Unterwelt

Vom Polizeireporter zum Aktivisten gegen Menschenhandel

– Jake Adelsteins bahnbrechendes Buch über die Yakuza gibt es jetzt endlich auf Deutsch. Susanna Mende hat es gelesen.

Der amerikanische Journalist Jake Adelstein war von 1992 bis 2005 bei der auflagenstärksten Tageszeitung Japans, der Yomiuri Shimbun, als Polizeireporter tätig. Vielleicht wäre es korrekter zu sagen, seine Tätigkeit bei der Yomiuri Shimbun hat aus ihm einen mit allen Wassern gewaschenen Journalisten gemacht, dessen Kompromisslosigkeit ihn schließlich mit einem Anführer einer der zweiundzwanzig offiziell anerkannten Yakuza-Gruppen in Japan 2004 in einen lebensbedrohliche Konflikt bringt, als dieser Adelstein mit Mord droht, um die Berichterstattung über seine Machenschaften zu verhindern. Dabei geht es vor allem um das Thema Menschenhandel – die Verschleppung ausländischer Frauen zum Zwecke der Prostitution –, was Adelstein nicht ruhen lässt, weil er durch seine vielfältigen Kontakte zum Rotlichtmilieu das geballte Elend dahinter aus eigener Anschauung kennt. Ein Teil seiner Empörung rührt daher, dass dieser Missbrauch von offizieller Seite lange stillschweigend geduldet wurde, wie sogar die UNO ebenfalls im Jahr 2004 in einem Bericht festhielt. Die Yomiuri Shimbun ist die erste Tageszeitung in Japan, die die Existenz dieses Berichts öffentlich macht und damit zu einer Verschärfung staatlicher Maßnahmen gegen Menschenhandel beiträgt.

Doch kehren wir zu den Anfängen von Adelsteins Karriere als Polizeireporter zurück. Unterhaltsam und eindrücklich beschreibt er nicht nur seinen Berufsalltag, sondern dessen aus europäischer Sicht manchmal geradezu kuriosen Rahmenbedingungen in einer stark hierarchisch geprägten und auf Höflichkeit und Gesichtswahrung bedachten Gesellschaft wie Japan.

Ein Polizeireporter ist auf Informanten angewiesen, sowohl von der Polizei als auch aus dem Milieu. Und wie sehr ein Polizeireporter seine Informanten schätzt, wird in Japan an konkreten Dingen und nicht so etwas Diffusem wie Sympathie oder Ehrlichkeit bemessen. Sake, Zigaretten, Essenseinladung, Tickets für Sportveranstaltungen, Feierabendbesuche mit kleinen Aufmerksamkeiten für die Familie sind das Schmieröl für den dringend benötigten Informationsfluss.

Neugier

Adelstein liefert dem Leser außerdem zahlreiche anschaulich und kenntnisreich verfasste Geschichten aus der Welt des Verbrechens, klärt über Macht und gesellschaftliche Stellung der Yakuza auf, stellt das japanische Justizsystem in Frage, wenn es um die Ahndung von Verbrechen geht, zeigt die Verstrickung zwischen politischen Parteien und den Yakuza und erklärt eindrücklich, wie japanische Sexualmoral funktioniert und wie sich das auf das Angebot in Kabukicho, dem berühmten Rotlichtviertel Tokios, auswirkt. Er scheint das Bizarre, Fremde und Abenteuerliche, das mit seinen Job verbunden ist, lange Zeit voller Neugier zu betrachten.

Yakuza-Clan

Doch als die Zahl der Opfer, die er kennenlernt, zunimmt – meistens handelt es sich dabei um Frauen, die zur sexuellen Ausbeutung nach Japan gelockt werden –, entwickelt er eine Betroffenheit, die mit der Neutralität und Objektivität, die von einem Journalisten erwartet werden, nicht mehr zu vereinbaren sind. So quittiert er schließlich den Dienst und kehrt in die USA zurück, wo er aufgrund seines enormen Wissens über organisierte Kriminalität in Japan in der Zwischenzeit als Berater der US-amerikanischen Regierung tätig ist. Außerdem leitet er die PR-Abteilung des Polaris Project Japan in Washington, das sich gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern in Japan einsetzt.

Adelstein zeigt nicht als Erster, dass man sich auf die dunkle Seite einer Gesellschaft begeben muss, um Wesentliches über sie zu erfahren; sie ist nur die andere Seite einer Medaille, die erst in beiderseitiger Anschauung etwas über sich verrät. Jake Adelstein hat das für uns getan, schonungslos, intelligent und berührend! Eine Bereicherung für alle, die mehr über Japan und organisiertes Verbrechen lernen wollen.

Susanna Mende

Mit der Yakuza, Jake Adelstein und Leonard Schraders Roman haben wir uns beim CrimeMag auch schon hier und hier auseinandergesetzt. Wir bleiben am Thema …

Jake Adelstein: Tokio Vice – Eine gefährliche Reise durch die japanische Unterwelt (Tokyo Vice. An American Reporter on the Police Beat in Japan, 2009). Deutsch  von Martin Rometsch. München: riva- Verlag 2010. 376 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch gibt es hier. Ein weiteres Interview mit Jake Adelstein im The Tokyo Reporter


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