Geschrieben am 29. Oktober 2006 von für Bücher, Litmag

Umberto Eco: Schüsse mit Empfangsbescheinigung

Winkewinke machen im Fernsehen

Neue „Streichholzbriefe“ von Umberto Eco

„Gebildet und voller Vernunft“ plaudert der italienische Professor und Schriftsteller weiter über Gott, die Welt und die Freuden des gemeinsamen Lesens im Bett

Von Raymond Chandler, der sich auskannte in der großen Welt, stammt der Satz „The best way to comment o­n large things is to comment o­n small things“. Vielleicht haben deshalb immer wieder die besten Intellektuellen die kurze Form, bis hin zum Aphorismus so geschätzt, um mit nur wenigen Sätzen von den kleinen Dingen und den Alltagsbanalitäten her das Große und Ganze der Weltzusammenhänge zu erklären.

Einen Weltruf hat Umberto Eco sicherlich mit seinem legendären Klosterschmöker „Der Name der Rose“ erhalten. Dabei ist Eco vornehmlich überhaupt kein Romanschriftsteller, sondern ein in der wissenschaftlichen Welt hoch angesehener Semiotiker. Im Gegensatz aber zu der Mehrzahl seiner akademischen Kollegen, hat Eco nie die Niederungen der Massenkultur gescheut. Nicht um sich ihr mit Sprüchen und Platitüden anzubiedern, sondern um ihre Grammatik, ihre oft versteckt ausgesendeten Botschaften und Zeichen zu verstehen. Neben seiner wissenschaftlichen und literarischen Arbeit schreibt Eco seit Jahrzehnten schon im Wochentakt sogenannte „Streichholzbriefe“ („Bustina di Minerva“) für das italienische Magazin „espresso“. „Der Titel ‚Bustina di Minerva’ bezieht sich auf jene kleinen Streichholzhefte, die von der Firma Minerva hergestellt werden, und auf die Tatsache, daß man sich auf der Innenseite des Deckels oft Adressen oder Telephonnummernnotiert, Einkaufslisten anlegt oder auch (wie ich) eben festhält, was einem gerade durch den Kopf geht, während man im Zug unterwegs ist, in der Bar oder im Restaurant sitzt, Zeitung lest, ein Schaufenster betrachtet, in den Regalen einer Buchhandlung stöbert.“

Neugierde auf die Gegenwart

Dank seinem Übersetzer Burkhart Kroeber, seit Jahrzehnten schon die ‚deutsche Stimme’ von Umberto Eco, erfährt der deutsche Leser von Zeit zu Zeit immer wieder, was so alles im Kopf des bologneser Hochschulprofessors herumgeistert. Und das Eco mit kindlicher Neugierde, oft auch mit einem Heidenspaß durch unsere Gegenwart stromert, sind inzwischen schon eine kaum noch zählbare Menge an ‚Streichholzbriefen’ auf der letzten Seite des ‚espresso’ erschienen.

Den neuen Band durchblätternd muß man wissen, daß es sich nur um eine im Umfang sehr bescheidene Auswahl seiner Mini-Essays handelt. Über Computer-Hacker erfahren wir etwas, über Imageprobleme der Polizei, über den zivilisatorischen Gewinn, ein Buch im Bett zu lesen – alleine oder zu zweit -, über gekonnte Diebstähle oder – natürlich – über Berlusconi.

Politische Kommentatoren wie Eco gibt es in der italienischen Medienlandschaft einige vergleichbare ‚Federn’. Einzigartig jedoch ist die Leichtigkeit, mit der Eco zwischen Hoch- und Massenkultur, zwischen einer altehrwürdigen Klosterbibliothek und dem Internet, zwischen einem Dante-Vers und einer Comic-Sprechblase hin- und hersurfen kann. Er kann in einem Streichholzbrief einen Nachruf auf Paul Riceur, einem der großen französischen Philosophen des XX. Jahrhunderts schreiben und dann in der kommenden Folge seiner Kolumnen über die Marx-Brothers oder die Comic-Serie „Terry and the Pirates“ von Milton Cliff nachdenken. Grenzen der Neugierde scheint es für Umberto Eco nicht zu geben, aber nichts ist ihm mehr zuwider als die überall gepredigte Gleichgültigkeit von Werten und Kunstauffassungen.

Lesenswert wie zum Beispiel der erklärte Agnostiker Eco den pseudoreligiösen Jesus-Film von Mel Gibson nach allen Regeln der Aufklärung zerpflückt: „Wo die Evangelien sich mit der Aussage begnügen, daß Jesus gegeißelt wurde, läßt Gibson ihn zuerst mit Ruten prügeln, dann mit nägelstarrenden Riemen und schließlich mit hölzernen Keulen, bis er so zugerichtet ist, wie sich die Kundschaft von Mc Donald’s richtig zermatschtes Hackfleisch vorstellt.“

Schattenseite der Wissensgesellschaft

Eco hat mit seinen früheren Texten nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß auch in den fortschrittsskeptischen Kreisen des Bürgertums der Computer und das Internet akzeptiert werden. Wissend um die Schattenseiten dieser Technologie, ist Eco in seinen Urteilen auch vorsichtiger geworden. Das Internet glänzt immer da, wo es uns mit einem Klick eine riesige Datenmenge an Informationen liefern kann. Was aber fangen wir mit diesem immer mehr aufgehäuften Wissen an? Welche Kanäle legen wir an, um diese Informationsflut auch gezielt zu nutzen? Wie schaffen wir es, nicht in einem Meer von Gleichgültigkeiten unterzugehen? „Im Netz herrscht das Grauen der Irrelevanz“.

Aber nicht nur im Worldwideweb, auch im Fernsehen wird das Wissen immer bedeutungsvoller, was eigentlich keine Bedeutung besitzt. Wie sonst sind die Erfolge von einfach gemachten Quizsendungen (à la „Das Millionenspiel“) zu verstehen, wo ein Wissen prämiert wird, das letztlich keine oder nur wenig Alltagsrelevanz besitzt? Eco glaubt zu wissen, was relevant zur Bewältigung des Alltags in unserer Mediengesellschaft ist. Man kann das als die Arroganz eines „Bildungsbürgers“ bezeichnen, der das Hamsterradrennen des vom schnellen Geld träumenden TV-Konsumenten von oben herab kommentiert. Aber Eco kritisiert nicht die Massen, die den Versprechungen der Medien Tag für Tag Glauben schenken, sondern seine Polemiken sind an die Macher und Profiteure dieser Medien gerichtet. Die „die Winkewinke machen im Fernsehen“ (so der Titel einer seiner Essays) sind das Problem, sondern die, die mit immer seichteren und verlogeneren Unterhaltungsprogrammen ihre Millionen scheffeln. In einem seiner kleinen Stücke lobt Eco Augustinus und John Locke die wußten„wie man zu einem Sohn über alltägliche Dinge spricht“ und mit „Freunden nach dem Essen plaudert, gebildet und voller Vernunft.“ Besser kann man nicht in Worten fassen, was diese ‚Streichholzbriefe’ des Umberto Eco auszeichnet. Würden doch mehr deutsche Intellektuelle so schreiben können (und wollen) wie der Semiotikprofessor aus Bologna!

Carl Wilhelm Macke

Umberto Eco: Schüsse mit Empfangsbescheinigung. Neue Streichholzbriefe. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Hanser-Verlag 2006, 173 Seiten. 15,00 Euro.