Geschrieben am 5. April 2004 von für Bücher, Litmag

Ugo Riccarelli: Fausto Coppis Engel

Die schönste Nebensache der Welt

Geschichten über große Verlierer und kleine Gewinner, traurige Sieger und glückliche Verlierer auf Rennbahnen, in Sportarenen und auf Bolzplätzen.

Irgendwo bei Kafka findet man den bemerkenswerten Satz: „Nichts, wenn man es überlegt, kann dazu verlocken, in einem Wettrennen der erste sein zu wollen.“ Damit ist man schon mittendrin in den Erzählungen von Ugo Riccarelli. Alles dreht sich hier um den Sport, um seine Champions, seine Legenden, seine berühmten Gewinner und tragischen Verlierer – um die vor allem. Wer sich nicht für den Sport interessiert und wem Namen wie Fausto Coppi, Garrincha oder Emil Zatopeck nichts sagen, könnte das Buch vielleicht sofort beiseite legen. Aber sehr schnell bemerkt man bei der Lektüre, dass es ja nur vordergründig um Sportereignisse, um Helden auf dem Fußballplatz oder bei einem Straßenrennen geht. Riccarellis Geschichten sind wunderbar einfühlend geschriebene (und übersetzte!) kleine literarische Denkmäler für Menschen, die vielleicht einmal ganz oben in der öffentlichen Aufmerksamkeit standen und dann arm und vergessen gestorben sind.

Der Schriftsteller auf dem Bolzplatz

Von unbesiegten Fußballmannschaften (wie dem AC Turin) erfährt man, die bei einem Flugzeugunglück vom Keeper bis zum Linksaußen ums Leben kamen. Von einem Autofahreridol, das von den jubelnden Massen am Straßenrand geliebt wird, aber in einem Kloster in Tränen ausbricht. Von dem elenden Sterben des Manuel Francisco dos Santos, genannt „Garrincha“, dem Rechtsaußen der „unsterblichen“ brasilianischen Elf um Pele. Von ukrainischen Fußballern, die eine Nazi-Elf besiegen – und dafür mit dem Leben bezahlen. Von dem Schriftsteller Pier Paolo Pasolini, der auf einem Bolzplatz irgendwo zwischen römischen Mietskasernen zusammen mit Jugendlichen den „FC Chaos“ gründet. Wer wissen will, warum Pasolini zu den ganz Großen der modernen italienischen Literatur gezählt wird, sollte die wunderbare Geschichte von Riccarelli über den Fußballspieler Pasolini lesen!

„Fußballspielen ist wie Malen und wie Gedichte verfassen oder eine Geschichte schreiben. Deshalb macht man es mit Leidenschaft.“ Das sind alles keine großen Erzählungen mit langem Atem und starker Story. Sie lesen sich leicht, vielleicht noch vor dem Schlafengehen. Und trotzdem bleibt da nach der Lektüre etwas in der Erinnerung haften. Hier schreibt einer, der den Sport liebt und über alles die Menschen, die sich da auf den Rennrädern quälen, über den Fußballplatz hetzen, sich im Boxring schlagen und dann irgendwann an ihre Grenzen stoßen, schließlich sterben. So liebevoll, leicht und immer mit einer melancholischen Grundmelodie wurde schon lange nicht mehr über die schönste Nebensache des Lebens geschrieben. Nichts für die Fans von „Schumi“, „Franzi“, „Hanni“, die sich immer nur für die Schnellsten, Stärksten und Besten, für die „Helden des Augenblicks“ interessieren. Weiß eigentlich der, der gewinnt, was er verliert, heißt es in der einleitenden Buchwidmung. Der, der diese Erzählungen nicht liest, weiß nicht, was der gewinnt, der sie gelesen hat.

Carl Wilhelm Macke

Ugo Riccarelli: Fausto Coppis Engel. Aus dem Italienischen von Sylvia Höfer. Zsolnay 2004, 208 S., 17,90 Euro