Noch´n Süppchen?
von Thomas Wörtche
Manche Bücher scheinen verschwunden und tauchen plötzlich wieder auf. Gut so. Die AvivA-Verlegerin Britta Jürgs drückte mir netterweise neulich ein kleines True-Crime-Juwel aus der Frühphase ihres Verlages einfach so in die Hand, das immer noch sofort lieferbar ist – neee, nicht BOD, sondern schön gesetzt und gebunden. Brigitte Luciani rekonstruiert darin die Karriere und das Ende der Giftmörderin de Brinvilliers, die im Paris des 17. Jahrhunderts eine Cause élèbre war. Sie regelte geschickt und effektiv die Erbfolge (günstig: Suppen und Pasteten), weil sie dringend Geld brauchte, auch weil sie eine der ersten professionellen Spielerinnen war (ein Job, der eigentlich Männern vorbehalten war) und weil sie auf dem bestand, was man heute ein „autonomes“ Leben nennen würde, einschließlich sexueller Selbstbestimmung und, klar, einem gewissen Bedürfnis nach standesgemäßer Lebenshaltung. Die Zeit Ludwig XIVten war auch die Zeit der (manchmal mächtigen) Maitressen, aber wem solche Gnade nicht zuteil wurde, musste sehen, wie sie zurecht kam. Vor allem, wenn das Kloster oder eine arrangierte Ehe, eher betrübliche Aussichten boten. Das ist zwar moralisch sicher beklagenswert, aber irgendwie auch systemisch logisch. Luciani schildert Sitten und Zeiten in einem erfreulich unterhaltsamen, bisweilen maliziös-sarkastischen Ton, und baut vor allem mit leichter Hand eine Menge Kontexte ein. Nichts wirklich Neues zwar, aber eine hübsche Aspekte fallen schon ab: So zum Beispiel die Entstehung von Blaise Pascals Wahrscheinlichkeitsrechnungen aus dem Geiste der Spielsucht. Wie überhaupt das absolutistische Paris mit seinen strikten offiziellen Regeln in diesem Buch heftig an die Prohibitionszeit in den USA erinnert – anything goes, wenn man nur genug Geld und Macht hat. Das Schönste: Liest sich das Buch zunächst als Chronik eines Skandalons, nimmt es am Ende eine schöne Kurve. Der Fall Brinvillier mag zwar in der medialen Wahrnehmung der Zeit eine Cause célèbre gewesen sein, aber dieses Verständnis von Kriminalität war schon immer Illusion. Zwar war die Ordnungsmacht sehr bemüht, nach der Hinrichtung und Verbrennung der Marquise die Akten zu schließen. Aber es rückte doch unabweisbar ins Bewusstsein, dass dahinter eine ganze Giftmordindustrie steckte. Das Volk vergiftete in fröhlichem Eifer alle, die irgendwie im Weg standen, und der Adel sowieso. Die Affäre schwappte bedenklich in die Nähe des Roi Soleil persönlich, das Verbrechen war im Grunde business as usual, im Geschmack der Zeit. Erst als das alles gar nicht mehr zu Verbergen und Vertuschen war, bequemte man sich, Kontrollmechanismen einzuführen, die den mehr oder weniger freien Gifthandel zu regulieren versuchten. Wobei natürlich Giftmorde ein beliebter Topos der Kriminalgeschichte seit dem Pitaval bis heute blieben und bleiben. Auf dem Weg der Genealogie des Vergiftens seit der Antike sind die Morde der Marquise de Brinvilliers eine wichtige Station und Brigitte Lucianis Buch ein vergnüglicher Kommentar.
Thomas Wörtche
Brigitte Luciani: Die Marquise de Brinvilliers und das Erbschaftspulver oder Wie schaffe ich mir meine Familie vom Hals? True Crime. Berlin: AvivA 1997, 142 Seiten, € 16,50