Geschrieben am 4. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Trevanian: Shibumi/Don Winslow: Satori

Von Shibumi nach Satori und zurück

– Don Winslow schreibt eine Abenteuerschwarte von Trevanian aus dem Jahr 1979 fort …

Ach, ist das schön! Abenteuergeschichten, hauptsächlich für Jungs, mit schönen Frauen, bösen Killern, viel Verschwörung, Höhlenklettern und Floßfahrten, köstlichen Speisen und schönen Gemetzeln. Ganz fiese Schurken und fröhlich krachlederne Sidekicks. Zusammen fast 1200 Seiten. Thomas Wörtche konnte sich trotzdem nur halbwegs amüsieren.

1979 erschien „Shibumi“ von einem Autor, der unter dem Pseudonym Trevanian schrieb und eigentlich Rodney William Whitaker (1931–2005) hieß. Liest man heute die Paratexte zu der gerade stattgefundenen Neuausgabe von „Shibumi“ und vernimmt das erste Begeisterungsgekrähe im Sinne der Verlags-PR, dann muss „Shibumi“ damals der Kracher gewesen sein, ein Meilenstein des Polit-Thrillers, ein Großjuwel des Genres. Aha! Ältere Menschen mit gutem Langzeitgedächtnis wie ich kramen verblüfft in der Erinnerung. 1979, deutsche Ausgabe vermutlich 1981 – da war doch was? Im Nebel der Vergangenheit verschwommen. Unverzeihlich oder zu Recht?

„Shibumi“ liest sich heute vor allem unfreiwillig komisch, ist streckenweise langweilig und ungünstig gebaut. Die Geschichte an sich ist ganz charmant: Nikolai Hel, deutsch-russischer Abstammung, wird im Shanghai der Zwischenkriegszeit geboren, nach dem Tod seiner Mutter von einem japanischen General quasi adoptiert und im Japan des Zweiten Weltkriegs zum Go-Meister ausgebildet, bis er nach 1945 zur displaced person wird und sich ein neues Leben aufbaut. Bis hierhin liest sich sein Schicksal wie eine Variante von Modesty Blaise, deren Schöpfer Peter O’Donnell (mehr hier) sie allerdings ein paar zig Jahre früher erfunden hatte, und die sich während der Kriegs- und Nachkriegswirren als Kind durch den Balkan und Nordafrika schlagen musste. Die displaced person Modesty wird Gangsterin, aber sie hat Witz, Eleganz und Leichtigkeit, während Hel metaphysische Strenge und existenzialistisches Pathos verströmt. Vermutlich hätte er Modesty als dekadent empfunden.

Anyway, Nikolai Hels Ziehvater gerät nach dem Sieg der Alliierten in russische Gefangenschaft und soll als Kriegsverbrecher hingerichtet werden. Um ihm diese Demütigung zu ersparen, bringt ihn Hel benevolent um. Und wird darob vom amerikanischen Geheimdienst gefoltert, jahrelang in Einzelhaft gehalten und dann als Killer nach China geschickt, um dort einen politischen Mord zwecks Zerrüttung des chinesisch-sowjetischen Verhältnisses zu begehen.

O'Donnell

Japan, Massaker und die ETA …

Schnitt. Die 1970er Jahre. Hel hat sich nach einem langen und erfüllten Berufsleben als Profikiller und Terroristenjäger (also ist er nicht ganz böse!) auf ein baskisches Schlösschen zurückgezogen und lebt mit Konkubine und einem höhlenforschenden ETA-Mann als bestem Kumpel ein beschauliches Leben, bis er in die Krallen einer bösen Organisation gerät: der „Muttergesellschaft“.

Bisher stieß einem schon die merkwürdige Stilisierung Japans als Opfer amerikanischer Großmachtpolitik und als heldenhaftes Werkzeug der Befreiung des pazifischen und zentralasiatischen Raumes vom europäischen Imperialismus sehr befremdlich auf – besonders wenn Trevanian großzügig einräumt, auch infolge der japanischen Kriegsführung hätte es – ooooops – ein paar betrübliche Kollateralschäden gegeben – die aber, wie das Nangking-Massaker oder überhaupt die ganzen Schlachte-Orgien im China der 1930er Jahre, lieber mal nicht genauer erwähnt werden. Dass die ETA bei Trevanian eher als sangesfreudiger, irgendwie knuddeliger antifranquistischer Verein rüberkommt (Trevanian lebte selbst im französischen Baskenland) mag dem unbedachten Zeitgeist der 1970er geschuldet sein. Ähnlich peinlich wie die andauernden ethnischen Überlegungen, die über Eigenschaften von „Rassen“ delirieren, als ob‘s ein früher Sarrazin wäre. Ähnlich peinlich Trevanians Ansichten über Niedergang und Dekadenz der westlichen resp. amerikanischen Kultur (wo mag der Wendepunkt, wo der Höhepunkt gewesen sein? Geschichtsphilosophie für Laien?), sein Feiern eines „Elitegedankens“, wo selbst elitäre Stecher nur auf Hureneliteschulen ausgebildete Ladies richtig zu ficken wissen, auf dass alle Huren sich verlieben und es umsonst machen. Ähnlich peinlich wie die Dauerabwatschung von Intellektuellen (insbesondere Soziologen, ein ganz üble Sorte), feigen Kaufleuten, Mannequins, Hippies und Schwulen – letztere nun sowieso. All das ist schon okay, das soll in Abenteuerschoten für juvenile Gemüter vielleicht sogar so sein, damit die jungen Herren später noch ein paar echte Überraschungen im Leben verpasst bekommen können.

Mutter

Der größte unfreiwillige Brüller aber kommt, als Trevanian politischen Durchblick beweisen möchte. Besagte Überorganisation, die „Muttergesellschaft“, kümmert sich um die Kontrolle über das Erdöl, vor allem im Mittleren Osten. Deswegen featured die „Muttergesellschaft“ die PLO und andere arabische Potentaten, Regimes und Scheusale. Und – das ist das Wichtigste – sie ist omnipotent. Alle westlichen Großmächte gehorchen wie Schoßhündchen, die CIA besteht aus schleimigen Volltrotteln, das Schweizer Bankgeheimnis hebt sich für diese Supermutter auf, jede nationale Polizei, jeder Geheimdienst höppt und springt, wenn „Mutter“ pfeift. Nur mit N. Hel wird natürlich auch diese Superstruktur nicht fertig, klar …

Für einen Paranoia-Thriller ist dieses Szenario allerdings zu naiv, weil es von einem einfach gestrickten „Masterplan“ ausgeht; für eine Parodie ist es zu un-komisch, zu klischeehaft. Und über „Realismus“ wollen wir angesichts der realen Komplexitäten des 20. Jahrhunderts nun wirklich nicht reden. Eher gehört Trevanians Thriller zu den Büchern der einfachen Gewissheiten, in die Abteilung „Sinnstiftung“ für Schlaumeierle, Cleverle und Durchblickerle. Politische und historische Analysen und Fakten sind Trevanians Sache nicht, von Kontingenz hat er vermutlich noch nie etwas gehört. Irgendwelche Rise-and-Fall-Theorien plus falsch verstandener Nietzsche plus anti-demokratische Gemeinplätze wabern als vermeintlich originelle Bonmots durch den Text, bis sie sich flugs als fahle Ressentiments entlarven.

Modesty Blaise

Fidelwipp

Wer sich also auf einen vergessenen Autor von der intellektuellen Schärfe und Qualität eines Eric Ambler, Ross Thomas oder auf äquilibristische, kühne und verblüffende Abenteuerartistik à la Modesty Blaise etc. freut, wird enttäuscht. Trevanian gehört eher in die Karl-May-Ecke, auch weil der ganze spirituelle Fernost-Fidelwipp (wie das Gebete und Übermensch-Gesumse beim sächsischen Hochstapler) exaltiert wird, bis eigentlich der Wittgenstein kommen müsste. Tut er aber nicht.

Ähnlich wie bei Karl May ist auch Trevanians Erzählen schwerfällig, monolithisch und wie nicht nur im Falle einer eher sinnlosen Höhlenexpedition, oberlehrerhaft belehrend und langweilig. Andererseits hat aber Trevanian auch, wie Karl May, die Fähigkeit, sein Publikum teilhaben zu lassen an der actionreichen Welt der Schönen, der Mächtigen, der Reichen und der Geheimnisvollen, der Aristokraten des Geistes, den vom schnöden Alltags Unbelasteten, der Edlen und der Tapferen, die leiden müssen, um zu triumphieren. Märchen mit Politeinlagen, schöner Kitsch, Trostliteratur. Das ist völlig legitim.

In den 1970ern und 1980ern war eben so etwas bestsellerfähig, heute sind es die Adler-Olsens und Mankells. Und eigentlich könnte man Trevanian, der keine größeren Spuren im weiteren Verlauf der Geschichte des Polit-Thrillers hinterlassen hat, abhaken, und zum Beispiel auf Stephen Becker hinweisen, der die definitiv besseren Bücher über das Zwischen- und Nachkriegsasien geschrieben hat, aber nu …

Winslow übernehmen Sie …

… nu, wäre genug, wenn nicht Don Winslow die Hel-Saga fortgeschrieben hätte, als gerne und begeistert akzeptierte Auftragsarbeit. Warum er das wirklich getan hat, wir wissen es nicht, und Äußerungen in Interviews und anderen PR-Texten soll man sowieso extrem skeptisch gegenüber stehen, wie übrigens allen Selbstaussagen von Autoren, aber „Quellenkritik“ ist ein anderes Kapitel …

Winslow also, der substanziell ein wesentlich besserer Schriftsteller ist als Trevanian, schreibt mit „Satori“ eine Art Prequel. Nämlich hauptsächlich die Geschichte, wie Nikolai Hel von den Amis als Killer in ihre miesen Dienste gepresst wird, sich in einem raffiniert geplotteten Ränkespiel daraus befreit und sich mit einem Haufen Kohle absetzt. Dazu gibt es ein paar gemeine Albumbilder aus der Jugend von Hels Mutter im revolutionären Leningrad und fein recherchierte Details zum Indochina-Krieg der Franzosen in den 1950ern. Gerade bei dem Thema „Drogenfinanzierung“ aller beteiligten Parteien von der Union Corse, den französischen Militärs, den Viet Minh, den diversen US-Diensten, den verschiedenen vietnamesischen und laotischen Volksgruppen, den Chinesen und Sowjetrussen, den vietnamesischen Banden und dem Marionettenkaiser Bao Dai usw. läuft Winslow zur Hochform auf. Alles, was er bei Fachleuten wie Alfred McCoy (siehe kaliber.38) etc. gelernt hat, verarbeitet er perfekt in der Handlung und es macht Spaß, seine Quellen nachzuverfolgen. Für Fans der realen Geschichte gibt es noch einen sehr ironischen Bonus-Mord, nämlich den an Kang Sheng, Maos Geheimdienstchef, ein Berija-haftes Scheusal, den Hel 1951 umbringt, obwohl der Mann in Wirklichkeit offiziell bis 1975 das chinesische Volk tyrannisiert hat.

Die Segnungen der Ironie

Stichwort Ironie. Die größte Leistung Winslows besteht darin, die Hel-Saga mittels Brechungen genießbar zu machen. Mit kleinen, schnellen, oft nur zehnzeiligen Kapiteln zertrümmert Winslow Trevanians Breitleinwanderzählen und macht Tempo. Die verschiedenen Intrigen- und Gegenintrigen, die überraschende Akzentuierung der einzelnen Figuren, die aus dem Schatten ins Licht treten wie der Superkiller, den man „die Kobra“ nennt; oder der Viet Minh-Anführer, der die ganze Zeit als Nebenfigur durch die Handlung tapert – all das ist planetenweit von Trevanians Grobschlächtigkeit entfernt. Auch die Figur Hel, die plötzlich kotzt, säuft und irrational handelt, ist ein anderer, weniger petrifizierter Mensch. Das gelungene Zeitkolorit – mit den besten Reverenzen an Graham Greenes „The Quiet American“, klar – haben wir schon gelobt. Gestrichen hat Winslow alle auf ethnischen Zuordnungen basierten Wertungen, Schurken können alle sein, gute Menschen auch. Getilgt ist der weltverschwörerische Ansatz, der Masterplan, das Masterbrain.

Winslow bekommt sogar die komplizierten unterschiedlichen Interessenlagen innerhalb der CIA, innerhalb der chinesischen Regierung, innerhalb von Saigon mit den so unterschiedlichen Parteien und Fraktionierungen blendend und verständlich geschildert hin. Pfusch und Inkompetenz, die Winslow fröhlich Urständ feiern lässt, stehen sowieso einem Masterplan entgegen.

Mit großer Freude und Bewunderung darf man auch beobachten – vorausgesetzt man hat „Shibumi“ zuerst gelesen –, wie Winslow Trevanians Roman im Prequel plausibel macht. Nikolai Hels Leben und Wirken wird – „Motivation von hinten“ (Clemens Lugowski) – neu aufgezogen und sortiert. Das ist exzellentes schriftstellerisches Handwerk.

Toys’n Boys

Trotzdem kann auch Winslow die Grundkonzeption der Hel-Saga nicht ändern. Das weiß er, das Dilemma löst er sehr intelligent. Er lässt den Jungs ihre Lieblingsspielzeuge – schöne Frauen, unkaputtbare Helden – grandios, wie Hel ein Napalm-Bombardement wegsteckt –, Luxus, Nightclubs und Spielkasinos und pittoreskes Elend. Folterspiele für die entsprechende Klientel, nix, was wirklich unangenehm wäre, und nix, was über die gepflegte Robustheit eines James-Bond-Filmes hinausginge. Ein wunderbar gemütliches Kostümstück aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, unangestrengt, tongue-in-cheek, wirklich im besten Sinne unterhaltend.

Das ist die erstaunliche Leistung von Don Winslow – an dieser Stelle den richtigen, nämlich den handwerklichen Ehrgeiz zu entwickeln und nicht den ambitionösen. Denn Winslow weiß, dass er als Schriftsteller zwei Ligen höher spielt als Trevanian. Beweisen muss er das nicht extra. „Satori“ ist die technische Veredelung von „Shibumi“, aber keine Erhöhung des Stoffes zu großer Literatur. Auch „Satori“ ist eine robuste, wenn auch perfekt gemachte Abenteuerschwarte. Und das ist nur gut so.

Thomas Wörtche

Trevanian: Shibumi (Shibumi, 1979) Roman. Deutsch von Gisela Stege (neu bearbeitet). München: Heyne Verlag 2011. 576 Seiten. 9,99 Euro.

Don Winslow: Satori. (Satori, 2011). Roman. Deutsch von Conny Lösch. München: Heyne 2011. 608 Seiten. 12,90 Euro.