Geschrieben am 7. November 2009 von für Bücher, Crimemag

Tomi Ungerer: The Party

The Party is over

1966 erschien Tomi Ungerers satirisches Bilderbuch The Party. Jetzt hat es Diogenes wieder aufgelegt. Thomas Wörtche ist begeistert.

Nein, Tomi Ungerer mochte sie nicht, die New Yorker Society der 1960er Jahre. Die Leute waren ihm zu verkommen, moralisch verwahrlost, zu reich, zu reaktionär. Und sie hatten das big business im Griff. Als Europäer, begeisterter Elsässer gar, konnte Ungerer bestens an die moralsatirische und grobianistische Tradition des Strasbourg-notorischen Johann Baptist Fischart und Sebastian Brant anknüpfen. Dazu gezielte Überzeichnungen in Rabelais’scher Drastik und Groteske, plus die Animaux parlants von Grandville, die düsteren Visionen von Goya, die Schmiss- und Hackfressen von Dix und Grosz aus der Weimarer Republik – und eben Ungerers eigener, eleganter Zeichenstil.

The Party ist ein Panorama zoomorpher Gestalten, deformiert, mit Körperteilen wie Zungen und Lippen verhakt und verbunden. Ein Pandämonium moralischer Verwerflichkeit, umgesetzt in Tentakel, Klauen, Fangzähnen. Geil, debil, morbid, gefährlich. Feine Leute ohne Masken, die Miss Mollie Follicle heißen, Mrs May Butt, Miss Annie Chasm oder Mrs. Loomis Van der Schmutz und Graff Otto von Lochimhund. Facettenaugen, insektenhafte Fress- und Kauwerkzeuge, schlauchartige Geschlechtsteile und zerfließende Konturen kombiniert Ungerer mit den Schlagzeilen der Gesellschaftsspalten zu einem danse macabre, der deutlich Endzeitstimmung ausstrahlt.

Mit dem berühmten und noch berüchtigteren Folgeband Fornicon nahm sich Ungerer drei Jahre später bekanntlich der sexuellen Devianz der besseren Kreise an, aber The Party zielt schon treffsicher auf eine Ausbeuterklasse, deren potenzielle Gewalttätigkeit aus jedem einzelnen Bild springt.

Parallelen zu heutigen Verhältnissen, zu gierigen Fondsmanagern, zu indolenten und korrupten Politikos und zu anderen Gruselspecimen der Jetztzeit muss man gar nicht benennen. Sie sind hier bei Tomi Ungerer evident. Und er musste schon damals nicht benennen oder mit einer Gegenbildlichkeit ausstatten, was er angriff. Auch das ist evident.

Ach, was sind die putzigen Strölchlein der durchschnittlichen Grimmis und Thriller für blasse Kerlchen gegen die absurde, böse Komik und Aussagekraft der Ungerer’schen Gestalten …

Thomas Wörtche

Tomi Ungerer: The Party. Zeichnungen (The Party, 1966).
Zürich: Diogenes 2009. 130 Seiten. 29,90 Euro.