Geschrieben am 29. Dezember 2008 von für Bücher, Litmag

Thomas Pletzinger: Bestattung eines Hundes

Furioses Debüt

Pletzinger packt seinen Roman voll mit Querverweisen (ohne ihn zu überfrachten) und nimmt alle erzählerischen Hürden mit Bravour. Von Frank Schorneck

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass in den letzten Jahren jeweils im Frühjahr ein Überflieger mit einem grandiosen Debüt die literarische Bühne betritt. 2006 war dies Clemens Meyer mit dem überragenden Als wir träumten, 2007 überzeugte Sasa Stanisic mit Als der Soldat das Grammophon reparierte – und im Frühjahr 2008 ragte Thomas Pletzinger mit Bestattung eines Hundes heraus. Alle diese jungen Debütanten haben das Erzählen wiederentdeckt, die Lust am Fabulieren, am Entwerfen von Welten und Charakteren und scheuen sich nicht, auch über tiefe Gefühle zu schreiben und Dramatik zu erzeugen.

Sieben rätselhafte Postkarten

Mit sieben rätselhaften Postkarten beginnt der Roman, mit sieben Postkarten, die in gewisser, verschlüsselter Weise das Folgende vorwegnehmen. Geschrieben hat sie Daniel Mandelkern, Ethnologe und Autor im von seiner Frau Elisabeth geleiteten Feuilleton einer Hamburger Wochenzeitschrift. Im Streit hat er die gemeinsame Wohnung verlassen, ist auf diese Recherchereise aufgebrochen, die er nicht hatte machen wollen. Einen verschrobenen Kinderbuchautor soll er interviewen – im Hinterkopf die Entscheidung, die Elisabeth von ihm verlangt: Ist er bereit für ein Kind? Mit seinem überstürzten Aufbruch nimmt eine Verkettung von Umständen ihren Anfang, die dazu führt, dass er ohne sein Gepäck, in dem sich auch sein Handy befindet, auf dem abgelegenen Anwesen des Kinderbuchautors Svensson am Luganer See eintrifft – und mit ihm eine hübsche finnische Ärztin samt Kind, die ebenfalls Gäste Svenssons sind. Mandelkern erfährt nach und nach von einer tödlichen Dreiecksgeschichte, fragt sich, ob der Junge Svenssons Sohn sein könnte. Immer dabei ist Lua, der schwarze, alte, dreibeinige Schäferhund Svenssons, dessen Keuchen und Husten sein nahendes Ende ankündigen.

Während Mandelkern versucht, gegen den subtilen Widerstand Svenssons seine Interviewfragen zu platzieren, versucht er gleichzeitig, Ordnung in seine Gedanken und sein Leben zu bekommen, rollt dabei die Liebesgeschichte mit Elisabeth auf, die nicht immer leichte Doppelrolle als zunächst Geliebter, nun Ehemann, zunächst Kollege, nun Untergebener.

Parallele Erzählstränge führen zurück in die Vergangenheit Svenssons. Eindrucksvoll der trunkene Taumel durch das verstörte und verstörende New York im September 2001, als nicht nur die Türme fielen, sondern auch Tuuli, die schwangere finnische Ärztin in den Armen von Svenssons Freund Felix landet, und sich Svensson samt dreibeinigem Hund von einem Drink zum nächsten hangelt. Noch früher, im brasilianischen Dschungel, haben die drei sich kennen- (und lieben) gelernt, hat Lua sein Bein verloren.

Ein wahrer Erzählrausch

Pletzinger packt seinen Roman voll mit Querverweisen, jedoch ohne ihn zu überfrachten; auch 9/11 fügt sich schlüssig in die Handlung ein, wirkt nicht wie das Abhaken eines Pflichtsujets. Als „Mandelkern“ wird ein Kerngebiet des Gehirns bezeichnet, das unter anderem für die Entstehung von Angst, aber auch jeglicher Erregungszustände verantwortlich sein soll. Die unterschiedlichen Sprachebenen, das analytische, jedes Wort hinterfragende Sinnieren Mandelkerns und das zwischen Lebenshunger und tiefem Absturz mäandernde sinnlich überschäumende Fabulieren Svenssons gehen im Wechselspiel der Kapitel eine wunderbare Symbiose ein.

Zunächst hält Svensson Mandelkern allein durch die Tatsache gefangen, dass er sich weigert, ihn mit dem Boot zum nächsten Ort zu fahren, doch schon bald verliert sich Mandelkern im Geflecht der Schicksale, der Lügen und Erinnerungen, die ihm aufgetischt werden. Über die Geschichte Svenssons wird sich Mandelkern schließlich bewusst, dass die für ihn wichtige Frage nicht die Interviewfrage „Wer ist der Kinderbuchautor Dirk Svensson“ ist, sondern die essentielle Frage „Wer ist eigentlich Daniel Mandelkern?“

Die Antwort auf diese Frage geben bereits die sieben Postkarten vom Anfang, doch der Weg dorthin ist das Ziel: Die 333 Seiten von Mandelkerns Abreise bis zu den Postkarten sind ein wahrer Erzählrausch, ein Wechselbad der Gefühle. Pletzinger nimmt alle erzählerischen Hürden mit Bravour: Seine Sexszenen zum Beispiel sind körperlich, ohne pornographisch zu werden, witzig, ohne lächerlich zu wirken und liebevoll, ohne kitschig zu sein. Ebenso gekonnt schildert er physische und psychische Schmerzen, Liebe, Verlust und Trauer. Den Namen Thomas Pletzinger sollte man sich auf jeden Fall merken.

Frank Schorneck

Thomas Pletzinger: Bestattung eines Hundes. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2008. 352 Seiten. 19,95 Euro.