Geschrieben am 25. Januar 2012 von für Bücher, Litmag

Thomas Melle: Sicksters

Absturz, Paranoia, Aufstand

– Thomas Melle, der zu den wichtigsten deutschen Theaterautoren gehört, erzählt in seinem außergewöhnlichen Romandebüt die Geschichte eines ungleichen Trios, das im provozierten Wahnsinn vereint den Aufstand gegen eine krank machende Gesellschaft probt. Von Karsten Herrmann

Melles Protagonist Magnus Taue wird im dahindämmernden Bonn-Bad Godesberg der 90er groß und war „schon vor der Pubertät eine Art Wissender, halb Autist und halb Tourette“. Er verachtet seine auf Karriere gepolten Klassenkameraden am Jesuitengymnasium und scheint einen ganz besonderen Weg vor sich zu haben.

Doch ein gutes Jahrzehnt später liegen seine ambitionierten Filmpläne auf Eis und er heuert in Berlin als „Worthure“ bei einem großen Mineralölkonzern an. Dort trifft er seinen ehemaligen Schulkameraden Thorsten wieder, der in der Marketingabteilung arbeitet. Thorsten hat sich zwischen Optimierung und Absatzsteigerung ein zynisches Glück aufgebaut und führt mit massenweise Energydrinks, Alkohol und Sex ein Leben am Limit. Seine ständig betrogene Freundin Laura übt sich derweil in Selbstzerstörung und wird symbolträchtig zu einer eiternden Wunde. Alle drei stehen so an einer Scheidemarke ihres Lebens, an der sie sich nicht mehr zu spüren drohen und die Leerstellen in ihnen immer größer werden: „Die Wünsche sind suspendiert, die Lebensentwürfe verblasst.“

Doch bei Magnus Taue, der sich einem „Leben im Ambient-Sound“ verweigert und „befeuert, ziellos, entgeistert“ durch die Stadt streift, wächst die Wut: „Lieber fetzt alles richtig auseinander, als das die Lüge mich falsch zusammen hält.“ Wut und Enttäuschung münden bei Magnus, Thorsten und Laura schließlich in Selbstzerstörung, Paranoia und Wahnsinn. Doch in einem letzten subversiven Akt proben sie noch einmal den karnevalesken Aufstand gegen eine Welt, die sie kaputt gemacht hat.

Thomas Melle hat mit „Sicksters“ einen schonungslosen Abgesang auf eine vom Kapital und seinen Marktmechanismen bestimmte Welt geschrieben, in dessen Mahlwerk jeder zerrieben wird. Auf zuweilen quälende Weise zeigt er mit Mitteln der Introspektion und des assoziativen Bewusstseinsstroms die Zerrüttung seiner drei Protagonisten, denen eigentlich alle Möglichkeiten offen stehen.

Und wie seine Protagonisten zerfällt auch Melles avancierter Roman zunehmend in disparate Einzelteile und Erzählfragmente, wird bestimmt von durcheinander wirbelnden Bildern, Zeichen und Gedankenschleifen. Seine Prosa steht dabei stetig unter Hochstrom, ist pointiert, expressiv, hämmernd und voller wunderbarer Bilder und Sentenzen wie „nervöse Tage triumphaler Leere“.

Karsten Herrmann

Thomas Melle: Sicksters. Berlin: Rowohlt Verlag 2011. 330 Seiten. 19,95 Euro. Zur Leseprobe.

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