Geschrieben am 29. Oktober 2014 von für Bücher, Litmag

Thomas Melle: 3000 Euro

U1_XXX.inddAusflug in die Unterschicht

– Schon lange beklagt das deutsche Feuilleton, dass gerade auch in der jungen Literatur hierzulande das wirkliche Leben am sich vergrößernden Rande der Gesellschaft ausgeblendet bleibt und die mehr oder weniger vom Ennui geprägte Selbstbespiegelung bürgerlich-akademischer Mittelschichts-Töchter und –Söhne vorherrsche. Dankbar wurde daher Thomas Melles in der Welt der Discounter und der Pornos, der Tafeln und Obdachlosenasyle angesiedelte Roman „3000 Euro“ aufgenommen und prompt auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gehievt. Doch leider erweist sich Melles Ausflug in die Unterschicht beim näheren Lesen als Flop.

Im Zentrum von „3000 Euro“ stehen der abgestürzte Anton und die nie aufgestiegene Denise, deren Wege sich in diesem Roman kreuzen und für die kurz die Möglichkeit eines gemeinsamen Glückes aufleuchtet. Anton stammt aus einer Arbeiter-Familie und hatte nach Abitur und begonnenem Jurastudium glänzende Zukunftsaussichten. Doch dann geriet er aus der Bahn und überschuldete sich in einem Rausch aus Drogen und Alkohol maßlos: „Das Gefühl des Höhenflugs war in Wahrheit der Schwindel des Absturzes gewesen.“ Nun steht er auf der Straße und wegen der titelgebenden 3000 Euro kurz vor einem Gerichtsverfahren zur Geschäftsunfähigkeit. Er ist einer der Unsichtbaren in dieser Gesellschaf geworden, die mit Scham und niedergeschlagenen Augen durch die Straßen schleichen und Pfandflaschen sammeln. Die Selbstachtung ist ihm ebenso abhanden gekommen, wie der Wille etwas an seinem Zustand zu ändern: „Er will entfernt, abgeschafft werden, er will es aber nicht selber tun.“

Denise ist alleinerziehende Mutter und Kassiererin bei Lidl, wo sich ihr unaufhörlich das Warenband wie „die plattgewalzte Zunge eines trägen Monsters“ entgegen schiebt. Sie hält sich mit Amphetaminen am Laufen, zappt und chattet sich durch Facebook, Fernsehen und Hochglanz-Magazine, träumt von New York und spielt dafür als Nadine Laval sogar in einem Porno mit.

Thomas Melle erzählt seinen Roman in bewährter Strudeltechnik aus den sich stetig einander abwechselnden Innenperspektiven von Anton und Denise. In einem nur selten durch exquisitere Formulierungen durchbrochenen schlichten Naturalismus spiegelt er im authentischen Bemühen das ganz alltägliche, bescheidene und zuweilen beschämende Leben seiner Protagonisten, ihr Denken, Fühlen und Tun wider. Ihm gelingt es dabei jedoch nur ansatzweise, Atmosphäre und Drive aufzubauen, so dass die Geschichte eher lau vor sich hin treibt. Und so klischeehaft wie die um ihre Existenz kämpfende Denise mit ihren gefärbten Haaren und rosanen Träumen, so unglaubwürdig und konstruiert kommt letztlich auch der von seinem Aufsteiger-Ast gefallene Anton daher.

Thomas Melle, der als wichtiger junger deutscher Theaterautor gilt und mit „Sickster“ (zur CM-Rezension) einen sehr beeindruckenden Debütroman abgeliefert hat, bleibt mit „3000 Euro“ weit unten seinen Möglichkeiten. Er belegt die Schwierigkeit, sich literarisch den Rändern unserer Gesellschaft mit ihren Drop Outs zu nähern und dabei weder der Gefahr des Romantisierens oder Exotisierens zu erliegen noch dem Klischee oder dem voyeuristischen Niveau von Reality- und Talkshows zu verfallen.

Karsten Herrmann

Thomas Melle: 3000 Euro. Rowohlt Berlin 2014. 204 Seiten. 18,95 Euro

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