Geschrieben am 4. September 2013 von für Bücher, Musikmag

Thomas Meinecke: Analog

meinecke_analogNiemals Töne tanzen!

Kaum einer versteht es, so über Musik zu schreiben, wie Thomas Meinecke das seit Jahren tut. Er ist selbst Musiker, hat die Band F.S.K. mitgegründet und u. a. bei den Lassie Singers als Musiker und Produzent mitgetan. Seit den 90er-Jahren ist er als DJ auf der ganzen Welt unterwegs, und von diesem Leben und den dabei gemachten Erfahrungen berichteten seine Kolumnen im Magazin „Groove“, die jetzt im Verbrecher-Verlag als Sammlung unter dem Titel „Analog“ erscheinen.

Aus den Jahren 2007 bis 2013 stammen diese Texte, die von Meineckes Leben als DJ erzählen, über die Kollegen und Berühmtheiten, mit denen er zu tun hat (dieses name dropping ist wohl doch etwas typisch männliches) und in denen er ganz allgemein Zeugnis ablegt über seine Art und Weise des Zugangs zu Musik, die immer auch eine politische, wenn nicht gar gender-politische war. House war und ist ihm das vom Machismo denkbar entfernteste Genre, während Rock in eigenen und befreundeten Kontexten gar nichts zu suchen hat. Den „rockistischen Authentizitätsbegriff“ tauscht Meinecke liebend gern ein gegen die „Disco Realness“ z. B. eines Sylvester. Kaum ein anderer heterosexueller Autor behauptet von sich selbst, so von den kulturellen Äußerungen „sexuell Andersdenkender“ (in seinem Fall meistens schwule Männer – Fichte, Warhol, Fassbinder) beeinflusst zu sein. Daher bezeichnet er sich auch gern als „male fag hag“, und das gibt seinem Schreiben einen sehr eigenen Ton.

Musik, das ist für Meinecke Leben, und zwar in allen Facetten. Nichts ist nebensächlich darin, alles hat eine Bedeutung oder kann eine zugewiesen bekommen. Erste Erinnerungen daran, dass in der Musik auch fette Minenfelder lauern, reichen zurück bis in die frühen 70er-Jahre, als er, 15-jährig, während eines Disco-Besuchs von einem Freund aufgeklärt wird:

„Plötzlich sagte er: Sieh mal, der da hinten, der tanzt Töne. Absolut verboten: Töne zu tanzen. Das sah ich sofort ein. Klar, dass es beim Tanzen um Rhythmus geht. Aber auch sofort von einer Art innerer Panik befallen: Hatte ich vielleicht auch, nur wenige Minuten zuvor, Töne getanzt? Gar musikalische Spannungsbögen in Körperbewegungen umgesetzt? (Horror.)“

Da ist ein Groove in diesen Sätzen, den Meinecke auch in seine Romane (z. B. „Tomboy“, „Hellblau“, „Jungfrau“) bringt und der diese zu einer nicht immer leichten, aber immer faszinierenden Lektüre werden lässt.

„Und genau das ist das Tollste an der Musik: Lernprozesse.“

Und genau das ist auch das Tolle an diesem Buch: die Lernprozesse, die es in Gang setzen kann, und sei es nur, alle in den Texten erwähnten Alben, Labels, Musiker zu recherchieren, die man noch nicht kennt. „Analog“ bezieht sich auf Meineckes bis zum heutigen Tag geübte Praxis, als DJ nur mit Vinyl zu arbeiten. Das Sich-senken der Nadel in die Rille ist fester Bestandteil der Zeremonie. Ergänzt werden die Texte von Zeichnungen von Thomas Meineckes Frau Michaela Melián, mit der er auch bei F.S.K. zusammenarbeitet (und von deren formidablem neuen Album demnächst hier die Rede sein wird). Als kulinarische Begleitung der Lektüre empfehlen sich Lakritzschnecken, an die man bei Meliáns Zeichnungen unweigerlich sowieso denken muss.

Tina Manske

Thomas Meinecke: Analog. Verbrecher Verlag, 2013. Broschur, 120 S. 14,00 Euro.

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