Geschrieben am 26. Juni 2013 von für Bücher, Litmag

Thomas Martini: Der Clown ohne Ort

Thomas Martini_Clown Ohne OrtAbdriften, Abheben, Wegfliegen

– Ohne Netz und doppelten Boden geht der junge Thomas Martini in seinem Debüt aufs Ganze und schickt seinen Protagonisten auf einen radikalen Höllentrip zwischen Sinnsuche und Selbstzerstörung. Von Karsten Herrmann.

Martinis Protagonist Nain hätte eigentlich das Zeug für eine Bilderbuchkarriere: Nach einem Politikstudium mit Auslandssemester in Barcelona und einem Praktikum im Bundestag hat er einen gut bezahlten Job im Europaparlament vor Augen. Doch ihm graust vor einem Leben nach wohl temperiertem und von einer „verrückten Vernunft“ bestimmten Schnittbogenmuster. Immer drängender fragt er sich, was den Menschen denn überhaupt noch im Leben hält: „da war nichts mehr, was man vernünftigerweise sein konnte. Alles stank nach Monade“.

Aus einer selbstgewählten Isolation heraus heuert er schließlich als Praktikant bei einem Open Air Theater an und plant mit seinen neuen Freunden das internationale kunstpolitische und basisdemokratische Projekt „WeR:Evolution!“ – ein letztes Aufzucken des Glaubens an eine bessere Welt nach dem Ende der Utopien: „kann doch nicht sein, dass wir ständig unglücklich sind, ohne Aussicht auf Veränderung“.

 Porträt einer Krisengeneration

Doch die politische Euphorie hält nicht lange vor und Nain verliert sich zunehmend in einem endlosen Rausch aus Alkohol, Joints, Pillen und weißem Pulver aller Art. Sein Leben ist ein Verglühen und Leuchten in der Nacht, ein immer wieder neues Abdriften, Abheben, Wegfliegen und bedingungsloses Abstürzen. Bis zur Neige kostet und probiert er das Leben in allen Variationen intensivst aus. „Nicht denken, sein! sein! sein!“ wird ihm zum verzehrenden Credo.

Entsprechend zu Nains Leben zelebriert Thomas Martini eine poetische aufgeladene und höchst expressive Prosa des Rausches. Meisterhaft und kompromisslos zeichnet er in fiebrig-fahrigen Fragmenten die Erinnerungen, wilden Gefühls- und Gedankenstrudel, das Zerfließen und Verschmelzen seines Protagonisten nach. Die Räume und Zeiten lösen sich dabei immer mehr auf und so wird der Leser fortgetragen von Martinis Assoziations- und Imaginationskraft, seinen rhythmisierten Wortwirbeln und Wortschöpfungen: „In mich fuhr ein Lichtstrahl, der gleißend meine Hülle zerfetzte, rotblau glühendes Plasma, Glück, unendliches und ich zerstob zu glitzerndem Staub, der sich im Zimmer verteilte.“

Karsten Herrmann

Thomas Martini: Der Clown ohne Ort. Frankfurter Verlagsanstalt 2013. 254 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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