Money makes the ball go round
– Seit Jahrzehnten gibt es Korruptionsskandale im FIFA-Fußballverband, doch die üblichen Verdächtigen – an der Spitze Sepp Blatter – scheinen sich immer wieder aus allen juristischen Problemzonen befreien zu können. Thomas Kistner, Experte für schmutzige Geschäfte mit dem Weltfußball, legt in seinem brisanten Band „FIFA-Mafia“ eine Skandalchronik vor, die für Aufsehen sorgen dürfte und den mafiösen FIFA-Strukturen hoffentlich endgültig den Garaus macht. Von Peter Münder
Geht es dem obersten FIFA-Beelzebub Sepp Blatter nun endlich an den Kragen? Das fragten sich viele Experten während der Anhörung Ende April vor dem Straßburger Europarat: Es ging mal wieder um „Gute Geschäftsführung und Ethik im Sport“ und um einen Bericht, in dem peinliche FIFA-Details zur Sprache kamen, die die Verbindungen zur Schweizer Vermarktungsagentur ISL betrafen. Die vermakelte bis zu ihrem Bankrott 2001 die TV- und Marketingrechte an der Fußball-WM. Nun kam ans Licht: Allein von 1989 bis 2001 wurden Sportfunktionäre mit 140 Millionen Schweizer Franken bestochen, doch das in der Schweiz anhängige Verfahren wurde gegen die Zahlung von 5,5 Millionen Franken eingestellt – die FIFA zahlte davon 2,5 Millionen.
Als „tiefwurzelndes Korruptionssystem FIFA/ISL“ bezeichnete der SZ-Reporter Thomas Kistner, Spezialist für Sportpolitik und Korruptionsaffären, diese innige Connection in seinem Bericht über die Europarat-Anhörung. Die ISL war 1982 gegründet worden, die FIFA-Korruption blühte schon in den 1970er-Jahren. Normalerweise müsste die ISL, die für die TV-Übertragungsrechte Millionen kassiert, im Geld schwimmen – aber die Einnahmen landeten leider nicht immer auf dem offiziellen ISL-Konto, sondern auch auf Privatkonten. 250 Millionen Franken vereinnahmte Sponsorengelder sind futsch, obwohl die FIFA vorab gewarnt wurde und sich die Verfügung über ein Spezialkonto sichern sollte. Doch für die FIFA sind das offenbar Peanuts. Man ignorierte diese Warnungen einfach. Und Sepp Blatter, 76, von 1975 bis 1981 Technischer Direktor bei der FIFA, von 1981 bis 1998 Generalsekretär und seitdem FIFA-Präsident, soll über diese Praktiken nicht informiert gewesen sein? Ist der Mann dummdreist oder einfach nur unfähig? Oder ein plumper Lügner?
Die FIFA-Spitzenfunktionäre hätten sich auf eine „unangemessene Geschäftsführung“ kapriziert, womöglich sogar auf ein „kriminelles Missmanagement“, befand der Bericht des Europarats. Blatter hat inzwischen für die FIFA-Selbstreinigung, für strahlende Transparenz, für das Screening ambitionierter Spitzenfunktionäre diverse Compliance-Experten angeheuert, die für eine Imagekorrektur sorgen sollen. Sogar Interpol ist neuerdings dabei, wenn es um die Aufklärung der FIFA-Verfehlungen geht: Die internationale Polizeibehörde bekam jedoch – kleiner Schönheitsfehler – von der FIFA eine Spende von 20 Millionen Dollar – für die Kaffeekasse? Oder für nicht allzu penible, nur halbherzig durchgeführte Untersuchungen dubioser Finanztransaktionen?
Von ernsthaften Ermittlungen im Korruptionssumpf, wie sie etwa die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff energisch betreibt, um den geldgierigen Funktionär Ricardo Teixeira vor der WM 2014 in Brasilien trockenzulegen, kann keine Rede sein, weil die Ermittlungsfrist auf zehn Jahre begrenzt ist. Außerdem scheint Korruption in der Schweizer Steueridylle immer noch ein Kavaliersdelikt zu sein, das man wie den Diebstahl eines Toblerone-Riegels im Supermarkt behandelt.
Altbewährtes System Sepp
In seinem Band „FIFA-Mafia“ beschreibt Thomas Kistner die FIFA als Blatters gut geschmiertes Netz von Funktionären, Politikern und Vermarktern im Dunstkreis gut eingespielter Bestechungsmechanismen: Da werden vor FIFA-Vorstandswahlen oder bei anstehenden Verhandlungen über die Vergabe von UEFA- oder WM-Austragungen unter Hotelzimmertüren dicke Briefumschläge durchgeschoben, Belastungszeugen gegen die FIFA werden erst ignoriert und, wenn sie besonders hartnäckig sind, offenbar mit hübschen Prämien zum Schweigen gebracht. So einfach funktioniert das in diversen Bananenrepubliken altbewährte System Sepp: Man hält streng geheime Vorstandswahlen ab, schmettert kritische Einwände rigoros ab, schottet sich gegenüber den ohnehin äußerst suspekten Medien („Die wollen nur die Auflagen ihrer Blätter steigern“) ab, ist aber für solvente Scheichs, die irgendwo in der Wüste (auch im Winter) eine WM veranstalten wollen, immer zu sprechen. Der Monopolbetrieb FIFA investiere seine „zügellos wuchernden Einkünfte in immer stärkere Schutzwälle“, meint Kistner: nämlich in Anwälte, Berater, Ermittler, Öffentlichkeitsstrategen – in alles, was für Geld zu kaufen sei, um skandalöse Wahrheiten über eigene Korruptionsfälle, Wahlentscheidungen, die Vergabe von WM-Austragungen oder pikante Details der Schweizer Einstellungsverfügung usw. zu verschleiern und zu unterdrücken. Aber wie konnte es in der langen Geschichte der FIFA dazu kommen? Sollte der Weltfußball nicht die Herzen der Menschen weltweit erwärmen, ein Garant für Völkerfreundschaft und Weltfrieden sein? Und nun ist die FIFA zum Synonym für korrupte Vetternwirtschaft verkommen?
Gut recherchiert, spannend geschrieben
Kistner hat gründlich recherchiert und Aspekte unter die Lupe genommen, die sonst geflissentlich ignoriert werden: Schon der Franco-affine IOC-Chef Juan Antonio Samaranch konnte sich nur aufgrund total korrupter Strukturen an der IOC-Spitze behaupten; im Grunde war aber eine vom Adidas-Boss Horst Dassler initiierte interne „CIA-Truppe“ für das Anwerben ausländischer Stimmen und für die Bestechung wichtiger Funktionäre zuständig: Dassler hatte beste Connections zu Honecker und dem Fußballfan Erich Mielke: „Auch Honecker läßt sich vom Kapitalisten Dassler erobern, persönlich unterschreibt er einen „Totalvertrag“ für die Ausrüstung seiner systematisch gedopten DDR-Athleten“, berichtet Kistner. „Die Lieblingsfloskel der Sportfunktionäre, dass Sport nichts mit Politik zu tun habe, war schon immer Nonsens. Weltverbandsbosse nehmen auf höchster Ebene Einfluß.“
Wenn wir jetzt auf die unsäglichen Vorgänge in der Ukraine und die unmenschlichen Bedingungen blicken, die Julia Timoschenko zu ertragen hat, dann liegt eben auch die Frage nahe, unter welchen Umständen diese Doppel-EM in der Ukraine und Polen von der UEFA an diese Länder vergeben wurde. Kein Wunder, dass nun wieder Korruptionsvorwürfe gegen UEFA-Chef Michel Platini erhoben werden, der von Blatters Gnaden und mit osteuropäischer Hilfe 2007 im Amt installiert wurde und für die EM-Vergabe mitverantwortlich war. Das Weltfußballgeschäft sei ja keineswegs, wie Sepp Blatter einmal behauptete, eine Branche, die alle Religionen übertrumpft habe, meint Thomas Kistner. Der Experte für das globale Milliardenspiel widerspricht dieser hübschen Kalenderweisheit und bringt es kurz und knackig auf den Punkt: „In unserer Zeit bildet diese Branche das größte Schwarze Loch.“
Echte Fußballfreunde hoffen sicher inständig, dass FIFA-Boss Sepp Blatter möglichst bald in diesem Schwarzen Loch verschwinden möge. Doch man sollte auch, wie Thomas Kistner, daran erinnern, dass dieser Sumpf, in dem das spezifische Blatter-Biotop so prächtig gedeiht, nicht nur von dubiosen Zwergstaaten gehegt und hochgepäppelt wird: „Blatter ist der politisch Hauptverantwortliche am FIFA-Desaster. Punkt. Er hat die Konsequenz zu ziehen und das ramponierte Amt abzugeben.“ Doch das eigentliche Problem dieser Weltsportkrise sei eben auch: „Neben Guinea, Vanuatu und Togo stützen eben auch Verbände wie der mächtige Deutsche Fußball-Bund Blatter kompromisslos.“
Spannend wie ein Krimi, brillant geschrieben, exzellent recherchiert – Kistners „FFA-Mafia“ ist sowohl ein faszinierender Pageturner als auch ein unglaublicher Eye-Opener. Hoffentlich trägt dieser Band dazu bei, Blatters Augiasstall schleunigst auszumisten!
Peter Münder
Thomas Kistner: FIFA MAFIA. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. München: Droemer Verlag 2012. 426 Seiten.
Thomas Kistner/ Jens Weinreich: Das Milliardenspiel. Frankfurt 1998.
Thomas Kistner/Jens Weinreich: Der olympische Sumpf. München 2000.
Kistner/ Schulze: Die Spielmacher. München 2001.