Geschrieben am 6. April 2011 von für Bücher, Litmag

Thomas Bernhard: Der Wahrheit auf der Spur / (Mit Peter Hamm:) „Sind Sie gerne böse?“

In diesem Jahr wäre Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden (siehe CULTurMAG-Glückwünsche hier und hier). Aus diesem Anlass sind eine ganze Reihe von Büchern erschienen, Christiane Geldmacher und Frank Göhre stellen zwei davon vor.

Eine Scheußlichkeit mehr

Thomas Bernhard hat, wie erst jetzt einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, in einer eisigen Winternacht des Jahres 1977, als Sechsundvierzigjähriger also und bereits als Prosa- und Theaterautor sowohl gefeiert wie geschmäht, nach einem bedrückenden Wirtshaus-Resteessen, bei dem allerdings reichlich Wein floss, mit seinem Gast, dem Autor und Literaturkritiker Peter Hamm, damals noch nicht fest mit der Ärztin und Schauspielerin Marianne Koch liiert, in weiblicher Begleitung aber, quasi zur Verstärkung, wie nun nachzulesen ist, im seinem Haus in Ohlsdorf, einem vom Preisgeld des Bremer Literaturpreises angezahlten Vierkanthofs, ein Nachtgespräch geführt, bei dem er sich hat befragen lassen nach den auffallend wenigen Büchern im Haus und dem geliebten und auch schreibenden Großvater, von dem er, Thomas Bernhard, früh gelernt habe, sehr viele Fehler, vor allem mit Verlegern, zu vermeiden, was dann im weiteren Verlauf des Gesprächs dazu führt, einige Episoden aus Bernhards Anfängen als Autor erzählt zu bekommen, witzig und selbstironisch, wie überhaupt der durchgängige Ton seiner Antworten auf die unbefangenen und immer wieder nachhakenden Fragen des Literaturkritikers, der ihm Aufschlussreiches über Kindheit und  Jugend entlockt und die Wut und Verachtung über die Mechanismen des Kulturbetriebs, insbesondere die des Theaters, über das er nach der Aufführung eines seiner Stücke sagt, „um Gottes Willen,  wenn ich nicht das und das Geld dafür verlangt und bekommen hätte, also das tät ich mir gar nicht an“, wie er sich auch manch anderes nie und nimmer mehr habe antun wollen, und, wie gesagt, er hatte zum Zeitpunkt dieses nächtlichen Gesprächs den Zenit seines Schaffens noch längst nicht erreicht, von den fünf autobiografischen Büchern „Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“ und „Ein Kind“ waren erst zwei veröffentlicht, ein Grund wohl auch, dass Thomas Bernhard seinerzeit die Veröffentlichung dieses als Vorwort zu einem Materialienband gedachten Interviews als „vollkommen unbrauchbar“ untersagte, zumal ihm ohnehin „schlecht bei dem Gedanken an ein Buch über seine Arbeit [sei]; es kommt nur eine Scheußlichkeit mehr heraus“, was sicher keine völlig falsche Einschätzung war, Peter Hamm aber mit der klugen und zugleich abschließenden Bemerkung reagierte, „was er zu seiner Kindheit, Jugend und Dichterwerdung zu sagen gewillt war, sollte nicht in der Form einer allzu lockeren nächtlichen Plauderei, sondern als gefasster literarischer Text überliefert werden“, was allerdings inzwischen, 34 Jahre später und 22 Jahre nach Thomas Bernhards Tod, relativiert und nun von seinem Bruder Peter Fabjan genehmigt wurde, als sowohl aufschlussreicher wie unterhaltsamer Trip durch die Gedankenwelt eines der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Frank Göhre

Thomas Bernhard/Peter Hamm: „Sind Sie gerne böse?“ Ein Nachtgespräch zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm. Berlin: Suhrkamp Verlag 2011. 62 Seiten. 14,90 Euro.

„Einen großen Reiz hat praktisch alles.“

– (cg) So Thomas Bernhard in „Der Wahrheit auf der Spur“; und ja, die Texte, die in diesem Band versammelt sind, haben einen großen Reiz, nämlich den  unverwechselbaren Bernhard-Sound. Viele davon sind „Verehrte-Anwesende“-Reden, viele Interviews, viele Feuilletons und viele (Leser-)briefe. So schreibt er über sein Verhältnis zu Salzburg: „Wir warten noch immer darauf, dass das Salzburger Landestheater endlich einmal ein Theaterstück herausbringt, das in den Kulturspalten diskutabel ist“; an Kollegen: „Was ihr jungen Schriftsteller braucht, ist nichts als das Leben selbst, nichts als die Schönheit und Verkommenheit der Erde“; über Rimbaud: „Hundert Jahre sind nichts für diesen Meister des Wortes, den unübersetzbaren Rimbaud. Er riss das Leben an sich, unkonventionell, mit der Wurzel, packte es zugleich voll Ehrfurcht und Todessüchtigkeit“; über den Bildhauer Giacomo Manzù: „Alles ganz ohne Pathos. Schlicht und groß“; über seine Arbeit als Autor „… ziehe ich x-beliebige, auch rundum hässliche Orte vor. Die Schönheit von Städten wie Rom, Florenz, Taormina oder Salzburg ist für mich tödlich“; an den SPIEGEL nach dem Erscheinen der Besprechung „Irrsinn im Alpenland“ über seinen Roman Verstörung: „Mein nächstes Buch lassen Sie bitte gleich von einem natürlich auch in Oberösterreich geborenen oder ansässigen Schimpansen oder Maulaffen besprechen“; und schließlich in der Wiener „Presse“: „Ich habe meinem deutschen Verleger Unseld mit sofortiger Wirkung verboten, meine Bücher nach Oberösterreich auszuliefern, und zwar für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts, das von heute bis 75 Jahre nach meinem Tode. Dieses Auslieferungsverbot gilt für das gesamte österreichische Staatsgebiet und für sämtliche meiner Bücher.“

Ausstellungstipp: Bernhard-Fotos in Wien (siehe unten)

Auch sein letzter Text ist enthalten, ein Leserbrief, der sich für den Erhalt der Gmundener Straßenbahn einsetzt. „Zu meinem Entsetzen erfahre ich heute aus Ihrer, von mir immer sehr geschätzten Zeitung, dass die Straßenbahn eingestellt werden soll. Ein größeres Unglück dieser von mir geliebten Stadt gar nicht widerfahren.“ Nun, die Straßenbahn gibt es immer noch und das war bestimmt allein Bernhards Verdienst.

Eine Stimme fehlt

Heuer ist Thomas Bernhards achtzigster Geburtstag. Natürlich sind wieder Bücher über ihn erschienen. Auch in „Der Wahrheit auf der Spur“ – einem Buch für Bernhard-Addicts – gilt: Bernhard ist Bernhard. Er grenzt sich ab, er widerspricht, er regt sich auf. So einen wie ihn wird es nicht mehr geben. Jedem Dorf, jeder Stadt, jedem Landstrich seinen Bernhard.

Christiane Geldmacher

Thomas Bernhard: Der Wahrheit auf der Spur. Reden, Leserbriefe, Interviews, Feuilletons. Berlin: Suhrkamp Verlag 2010. 344 Seiten. 9,90 Euro.
Thomas Bernhard – eine Erinnerung. Von Krista Fleischmann
Ausstellungstipp: Aktuell sind Sepp Dreissingers Thomas-Bernhard-Fotos in der Wiener Galerie „WestLicht“ in der Westbahnstraße 40 zu sehen.