Geschrieben am 18. Dezember 2013 von für Bücher, Litmag

Terézia Mora: Das Ungeheuer

Terézia_Mora_Das_UngeheuerDer Weg ist das Ziel – oder auch nicht

‒ Terézia Moras neuer Roman wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Mehr als zu Recht. Kaum ein Werk beschreibt unsere Zeit und unser Sein besser. Ein Text, der das Zeug zum Klassiker hat. Von Andreas Pittler

Als Terézia Mora vor knapp zehn Jahren die Welt der Literatur betrat, tat sie dies auf mehr als beachtliche Weise. Ihr Roman „Alle Tage“ war für mich, der ich damals eine Kolumne für die „Wiener Zeitung“ zu osteuropäischer Literatur schrieb, ein potentielles „Buch des Jahres“. Mit einer unaufgeregten, lakonischen, ja manchmal etwas sentimentalen Sprache, umriss sie mit verhältnismäßig knappen Strichen die Schattenseiten dieses „neuen Europa“, in dem, um den seinerzeitigen Kanzler Kohl zu paraphrasieren, es niemandem schlechter, aber vielen besser gehen würde. Es sind gerade Autoren wie Mora, der Pole Stasiuk und der Ukrainer Andruchowytsch, die alsbald eindrucksvoll bewiesen, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit eine andere war.

Mora legte 2009 ihren zweiten Roman vor, „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, in dem wieder jener Darius Kopp die Hauptrolle spielt, der auch in „Das Ungeheuer“ im Zentrum des Geschehens steht. So verwundert es auch nicht, dass Moras neuer Roman gleichsam mit einem Zitat an den Vorgängertext beginnt. Das Schicksal freilich hat es mit Kopp seit dem letzten Werk nicht gut gemeint. Er hat seine Arbeit als IT-Experte verloren, und als wäre das nicht tragisch genug, nimmt sich seine Frau, eine gebürtige Ungarin, auch noch das Leben.

Foto von Terezia Mora„In Bewegung sein“

Kopp beschließt, da er ja ohnehin nichts anderes (mehr) zu tun hat, die Asche seiner Frau in deren alte Heimat zurückzubringen, um sie dort zu bestatten. Ehe er aufbricht, fallen ihm ihre Tagebücher und Aufzeichnungen in die Hände, die er, nach einigem Zögern, zu lesen beginnt. Damit begibt sich Kopp auf eine doppelte Reise. Während er sie mit dem Auto nach Osten aufmacht und so neue Landschaften, neue Mentalitäten und neue Schicksale kennenlernt, muss er feststellen, dass er nicht nur vom Osten dieses Kontinents, sondern auch vom Wesen seiner Frau herzlich wenig Ahnung hatte.

Kopp weiß nicht so recht, was er sich von seiner Fahrt erhofft, doch allein schon das „in Bewegung sein“ dünkt ihm besser, als sich weiterhin in seiner Wohnung zu verbarrikadieren. Mehr und mehr wird ihm bewusst, welch seltsamer Ort die Welt doch ist, ganz, wie es seine Frau immer statuierte. Und je tiefer er in den Kontinent und die Schriften seiner Frau eindringt, umso mehr muss er sich eingestehen, dass auch er selbst sich völlig unbekannt ist. Und gemäß der alten griechischen Maxime „Gnothi seauton“ fährt Kopp einfach weiter.

Von Floras Heimatdorf geht es nach Veli Losinj, wo er als Kind seine Ferien verbracht hat. Als er dort in einer Bar völlig überraschend auf seinen eigenen Vater trifft, ist dies für Kopp ein Zuviel an Selbsterkenntnis. Er verlässt fluchtartig die Insel und begibt sich nach Albanien, wo er durch einen Zeckenbiss niedergestreckt wird. Doch selbst im Delirium verfolgen ihn noch die Schatten der Vergangenheit, sodass die weitere Reise, kaum genesen, mehrmals den Charakter einer Flucht annimmt. Durch Makedonien und Bulgarien, weiter bis in den Kaukasus treibt es Kopp, einem modernen Alexander gleich, der jedoch nichts zu erobern, sondern alles zu vergessen sucht. Und wie der große Makedone sieht sich Kopp schließlich zur Umkehr gezwungen. Über Istanbul begibt er sich nach Athen, wo die Reise unerwartet zu einem Ende kommt.

Alle Tage von Terezia MoraUnorthodoxe Präsentation des Textes

Bemerkenswert an Moras neuem Roman ist aber nicht nur die Schilderung von Kopps Reise, die an Xenophon gemahnt („Anabasis“ und „Katabasis“ als Auf- und Abstieg eines Zugs, der am Ende nur noch den Erhalt des eigenen Lebens zum Ziel hat), die nüchterne Sprache, die dennoch Raum für Situationskomik, Ironie und Sarkasmus lässt und die kleinen, selbstreferenziellen Querverweise, sondern auch die unorthodoxe Präsentation des Texts an sich.

Mora hat ihre Erzählung nämlich zweigeteilt, was im Buch auch typografisch klar geschieden zum Ausdruck kommt. Während auf der oberen Hälfte der Seiten Kopps Geschichte geschildert wird, finden sich in der unteren Hälfte die Einträge Floras, seiner Frau, eine Mixtur aus Tagebuchnotizen, Aphorismen, lyrischen Einschüben und Auszüge von Krankheitsbildern („… bipolare affektive Psychose. Früher manisch-depressive Störung genannt“).

Auf diese Passagen wird in der oberen Texthälfte ab und an Bezug genommen, wenn sich Kopp mit den Schriften seiner Frau auseinandersetzt und er sich fragt, warum er von all ihren Ängsten, Sorgen, von ihren Krisen und Selbstmordversuchen so gar nichts mitbekommen hat. Immerhin findet er auch Tröstliches, wenn er von ihrer Liebe zu ihm lesen kann. Aus Floras Schreiben ergibt sich schließlich auch der Titel des Romans. „Das Ungeheuer“, das ist die Bezeichnung Floras für ihre Krankheit. „Das Ungeheuer“ kann aber auch für unsere Zeit stehen, für die Gefühlskälte, die Verzweiflung, die Trostlosigkeit am Rande unserer Metropolen, der Perspektivlosigkeit der Menschen, deren Hoffen mehr und mehr enttäuscht wird.

Dass uns Mora all diese zentralen Fragen unseres Seins in einer mehr als gefälligen Erzählung ohne hohles Pathos oder erhobenen Zeigefinger vor Augen führt, zeichnet ihren Roman so nachhaltig aus. Ein überaus bedeutsames Buch mithin, dem es zu wünschen ist, die Zeiten zu überdauern, damit auch künftige Generationen nachlesen können, mit welchen „Ungeheuern“ unsere Gesellschaft einst konfrontiert war.

Andreas Pittler

Terézia Mora: Das Ungeheuer. München Luchterhand 2013. 688 Seiten 22,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zur Autorin. Mehr zu Andreas Pittler. Porträtfoto: © Peter von Felbert.

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