Geschrieben am 24. September 2014 von für Bücher, Litmag

Tao Lin: Taipeh

Tao_Lin_TaipeiDas wirkliche Leben als verblassende Randnotiz

– Wie lebt und liebt es sich in Zeiten von Facebook, Twitter und MyFace abseits von digitaler Romantik und postmoderner Experimentierfreude? Diese Frage beantwortet der 1983 geborene Amerikaner Tao Lin in seinem autobiografisch grundierten Roman „Taipeh“ auf eine literarisch höchst wagemutige Art und Weise: Von Karsten Herrmann

Tao Lin ist Galionsfigur einer schon bei David Foster Wallace anklingenden „New Sincerity“-Bewegung, die auf eine Literatur des radikalen Realismus und der Ehrlichkeit bis zur Selbstentblößung setzt. Hier wird nichts beschönigt, überhöht, dramatisiert, emotionalisiert, ironisiert oder zum Spektakel aufgeblasen. Es bleibt das nackte Protokoll, die detaillierte Dokumentation.

Entsprechend analysiert und seziert Tao Lins Protagonist Paul auch beständig seine eigenen Gedanken und Wahrnehmungen. Er ist ein sozial dysfunktionaler Schriftsteller, der von Einsamkeit und Depressionen geplagt und der Überzeugung ist, „dass alle Menschen in den eingangslosen Höhlen ihrer selbst von Beginn an und für alle Zeit verwaist waren.“

Paul ist ein typischer Digital Native, dessen MacBook zu einer Art Körperprothese geworden ist und ihn ununterbrochen mit der digitalen Welt des Web und mit diversen sozialen Netzwerken verbindet. Durch die wirkliche Wirklichkeit bewegt er sich wie ein orientierungsloser Zombie und erträgt diese nur unter dem besänftigenden Einfluss von Medikamenten und Drogen wie Aderall, MDMA, Heroin oder Xanax, deren Einnahme er detailliert protokolliert.

Nur die Drogen und das Netz verbinden ihn mit anderen Menschen und mit wechselnden Freundinnen, von denen er eine sogar in Las Vegas heiratet und mit ihr zu seinen Eltern nach Taipeh reist. Zusammen treiben sie durch die Tage, filmen ihr Leben unter dem Einfluss der verschiedenen Drogen, tweeten und chatten miteinander, auch wenn sie nebeneinander im Auto oder Kino sitzen. Die erste Wirklichkeit und eine direkte Kommunikation werden so langsam ausgelöscht, Liebe und Sex zur verblassenden Randnotiz. Paul lebt sein Leben weiter unter dem Eindruck „verstörter Langeweile“ und des langsamen Verschwindens aus dieser Welt – hinein in eine abgeschiedene „Anderswelt“.

Tao Lin hat seinen Roman in einer Prosa von analytischer Schärfe und kristalliner Härte verfasst und verfolgt die „New Sincerity“ konsequent bis zum Äußersten. Auf eine faszinierend-unheimliche Weise zieht er den Leser in eine kalte, überbelichtete Welt, in der das Soziale sich auflöst und die Protagonisten das Leben schon längst nicht mehr wirklich spüren, sondern es nur noch im flackernden Display vor ihnen ungerührt betrachten können.

Karsten Herrmann

Tao Lin: Taipeh. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Dumont 2014. 288 Seiten. 19,99 Euro.

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