Geschrieben am 24. April 2013 von für Bücher, Litmag

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Taiyse_Selas_Diese Dinge geschehen nicht einfach soDas verloren geglaubte Glück

– Ein Stück Weltliteratur in des Wortes doppelter Bedeutung: Ulrich Noller ist begeistert von Taiye Selasis Debütroman.

Kweku stirbt ohne Pantoffeln. Was erstaunlich ist, weil der Mittfünfziger eigentlich niemals ohne Pantoffeln durchs Haus läuft. Anders an diesem Morgen, der seinen Tod bringen soll. Kweku wacht früh auf, schleicht leise aus dem Wohnzimmer seines Hauses in Accra/Ghana, barfuß, hinaus zur Terrasse, in den Garten.

Den stechenden Schmerz in seiner Brust registriert Kweku kaum, obwohl er es besser wissen müsste, denn er ist Arzt. Noch eine Stunde hätte er, ein Herzinfarkt ist kein großes Problem, wenn man weiß, was zu tun ist, auch in Accra. Aber Kweku holt keine Hilfe. Der nasse Tau an den nackten Füßen bedeutet ihm mehr, die Blumen, das Licht. Die Ruhe. Kweku ist so gefangen vom Augenblick, von seinem wunderbaren Garten, von allem, was sich ereignet hat, er lässt den Dingen ihren Lauf.

Die Sache mit den Pantoffeln – Taiwo lässt sie nicht los, tausende Kilometer entfernt, ein paar Stunden später hat sich gerade das in ihren Gedanken verhakt. Warum hatte ihr Vater keine Pantoffeln an, als er morgens zur Terrasse schlich und starb? Taiwo lebt in New York, nein: Sie deliriert durch ihr Leben, sie versucht zu überleben. Taiwo ist die Jüngste, und eigentlich hatte sie schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zum Vater, wie ihre Geschwister und die Mutter auch.

Was mit der Vergangenheit der Familie in Boston zu tun hat: Kweku und Fola, Einwanderer, er aus Ghana, sie aus Nigeria, lebten den amerikanischen Traum: eine Existenz aus dem Nichts geschaffen, Haus, vier Kinder, eine strahlende Familie, er erfolgreicher Arzt, einer der besten. Eines Tages dann wurde ihm ein Kunstfehler unterstellt, er wurde entlassen, als Bauernopfer. Was Kweku so traf, dass er für ein paar Tage einfach aus seinem Leben verschwand – und seine Familie verlor, unwiederbringlich. Erst jetzt, nach seinem Tod, durch sein Ende im fernen Accra, können Fola und die Kinder zu ihm zurückfinden, möglicherweise, irgendwie …

Die sechs und insbesondere die „Kinder“ – sie sind, wie Taiye Selasi das nennt, „Afropolitans“, Weltbürger mit afrikanischen Vorfahren; die Generation, die von dem zehrt, was ihre emigrierten Eltern aufgebaut haben; diejenigen, die es geschafft haben – und denen doch etwas fehlt, die Verankerung, die Verwurzelung nämlich. Sie sind Bürger einer neuen Welt, tragen doch die alte noch in sich, zahlen deshalb fürs „gesicherte“ Dasein ihren Preis, in den Gedanken, in ihren Gefühlen.

So wie die Autorin, geboren 1979, vermutlich auch, sie hat ghanaische und nigerianische Ursprünge, wuchs aber in England und den USA auf, als Tochter zweier in Afrika bekannter Bürgerrechtler, die sich trennten, als sie acht war. Großartig, wie die Taiye Selasi in ihrem Debütroman daraus eine Story macht, die den Afropolitans ein Denkmal setzt, sicherlich auch inspiriert von der eigenen Familiengeschichte: toll inszeniert, mit intelligent konstruierten Figuren, sprachlich so souverän wie kreativ, mit viel Raum für Reflexion. „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ – dieser Roman ist nicht nur einfach eine lesenswerte Geschichte mit Ethno-Touch, sondern Weltliteratur, und zwar im doppelten Sinn des Wortes.

Ulrich Noller

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Roman. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2013. 400 Seiten. 21,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zur Autorin. ZDF-Interview von Wolfgang Herles mit der Autorin Taiyse Selasi.

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