Geschrieben am 28. Oktober 2004 von für Bücher, Litmag

Studs Terkel: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Das ‚andere Amerika‘

Studs Terkel, der große alte Mann der amerikanischen ‚Oral history’, führt Gespräche mit Amerikanern über die Hoffnung und den ‚American dream‘.

Bist Du für oder gegen Amerika? In regelmäßigen Abständen wird man Politikern, Journalisten und sogar im eigenen Freundeskreis aufgefordert, sich entweder als Freund oder als Gegner Amerikas zu bekennen. Ein ‚Anti-Amerikaner‘ zu sein gehört zu den schlimmsten Vorwürfen, die man sich in der vorherrschenden politischen Kultur Deutschlands gefallen lassen muß.

Wer mit den Songs von Pete Seeger und Woody Guthrie im Ohr, mit den Fernsehbildern von Martin Luther King und Malcom X oder – ein besonderes Glück – mit der frühzeitigen Lektüre von Büchern Studs Terkels aufgewachsen ist, hat es leicht mit einem Bekenntnis: God bless America, but the America of Terkel, Guthrie, Seeger and Martin Luther King. In Zeiten in denen wir überschwemmt werden von dicken Schinken biographischer Literatur wie den Lebensgeschichten von Georges Bush Sen. und Jr., von Bill and Hillary Clinton, von John Kerry, ganz zu schweigen von Büchern über den unsäglichen Arnold Schwarzenegger, kann man den Münchener Kunstmann Verlag nicht genug loben für die (Wieder-) Entdeckung des wunderbaren Studs Terkel. Den Doku-Filmer Michael Moore in allen Ehren, aber bevor man dessen Bücher liest, sollte man doch auch etwas von anderen und besseren Autoren des ‚anderen Amerikas‘ kennen. Nach den „Gesprächen um Leben und Tod“ (München, 2002) ist jetzt eine neue Sammlung von Gesprächen Terkels erschienen, in denen die Hoffnung und der trotz aller fragwürdigen Instrumentalisierung immer noch aufregende ‚American dream‘ im Mittelpunkt stehen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Vierzig Personen stellt uns Terkel hier vor, vierzig verschiedene Biographien, vierzig unterschiedliche Hoffnungen auf eine gerechtere Welt, auf ein Amerika, das seine liberalen und toleranten Ursprungsideen nicht vergißt. Nicht alle der Interviewpartner von Studs Terkel repräsentieren die rebellische ‚Working Class‘ wie etwa der Gewerkschafter Ken Paff, die in früheren Gesprächsbänden von Studs Terkel so zahlreich vertreten waren. Den Brigadegeneral und Atombombenpiloten von Hiroshima Paul Tibbetts möchte man lieber nicht im wirklichen Leben begegnen. Aber seine bis ins hohe Alter gepflegte Sympathie für den kurzen Prozess (Bomben, Todesstrafe) dürfte im Amerika nach dem „Nine eleven“ weit verbreitet sein. Da sind die Beiträge über und von Amerikanern wie Deborah Bayly, einer ungemein quirligen Schuldirektorin, von Linda Stout, einer unermüdlichen ‚Networkerin‘ für den Frieden oder dem demokratischen Kongreßabgeordneten Dennis Kucinich, der auch im Kampf gegen den Terrorismus auf keinen Fall die ihm heiligen liberalen Rechte aufgeben will.

Das Amerika, das uns hier der inzwischen über neunzigjährige Terkel präsentiert, ist – mal mehr, mal weniger – Lichtjahre von dem Amerika entfernt, das sich auf den Mega-Events der beiden großen Parteiapparate selber feiert. Und es ist auch weit entfernt von einem Großteil der Amerika-Berichterstattung deutscher Medien. Da werden immer wieder nur die von den großen Networks produzierten Bilder kopiert und für das deutsche Publikum zurechtfrisiert. Wen weder die fähnchenschwenkenden amerikanischen Patrioten noch die chronischen Anti-Amerikaner überzeugen, der soll einmal zu Büchern von Studs Terkel greifen. Das Vorwort zu diesem der Hoffnung gewidmeten Buch läßt Studs Terkel mit einem Zitat der amerikanischen Pazifistin Kathy Kelly enden: „Ich kämpfe für eine Welt, in der es den Menschen leichter fällt, sich anständig zu benehmen.“ Studs Terkel wird diese Welt nicht mehr erleben, aber niemand wird ihm einmal nachrufen können, er habe nicht das Seinige getan, damit es diese Welt einmal geben wird.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt….“

Carl Wilhelm Macke

Studs Terkel: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Politisches Engagement in schwieriger Zeit . Aus dem Englischen von Michael Schulte. Verlag Antje Kunstmann München, 2004, Geb. 315 S. 22 Euro. ISBN: 3-88897-368-6