Geschrieben am 20. April 2009 von für Bücher, Litmag

Steven Millhauser: Ein Protest gegen die Sonne

Anmutige Zauberei

Einen Frosch heiraten, einen Geist herbeirufen, sich selbst verschwinden lassen – Millhausers elegant erzählte Fantasien werden Leser mit Sinn für Grenzerweiterungen bestens unterhalten. Von Gisela Trahms

Gut vorstellbar: Ein sanft gewelltes, grünes Hügelland, worin Sie ein Ferienhaus gemietet haben und fünfzehn Tage lang jeden Abend eine der Geschichten von Steven Millhauser lesen, am besten im Bett. Während Sie noch ein wenig wachliegen und dem Erzählten nachsinnen, kommt Ihnen das Gequake der Frösche bedeutungsvoller vor als sonst, die Mondlichtstreifen auf Ihrer Bettdecke scheinen eine unklare Aufforderung zu enthalten und richtig, das Bett steht nicht mehr fest auf dem Fußboden, sondern schaukelt sacht darüber hin. Um den Schlaf wird Sie das nicht bringen, im Gegenteil, die Träume werden farbiger und am nächsten Morgen treten Sie mit dem Gefühl ins Freie, dass der Tag eine Menge Wunder in seiner Stundenbüchse bereit hält.

Absonderliches und Unmögliches flirrt durch diese Geschichten. „Eisenheim der Illusionist“ heißt die letzte, und als Illusionist gefällt sich auch der Autor. Lauter Zaubertücher offeriert er, gewebt aus realistischer Kette und phantastischen Schussfäden, schillernd in heiteren oder dunkleren Tönungen. Merkwürdig zeit- und ortlos wirken diese Texte, obwohl ja Zeitangaben gemacht und Lokalitäten beschrieben werden. Eisenheims Geschichte etwa spielt in Wien kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Ortsnamen des alten Mitteleuropa sind verschwenderisch über den Text verstreut und müssen in amerikanischen Ohren so exotisch und unwirklich klingen wie patagonische in unseren. Da hat jemand Schnitzler gelesen und Joseph Roth.

Jedenfalls enthalten die Geschichten nichts von dem, was wir von amerikanischen Short Stories erwarten: schrille Gegenwart, extreme Figuren, latente Gewalt, Sex. Eher umgibt sie die europäische Erzähltradition wie eine schützende Atmosphäre und erzeugt ein gleichbleibend gemäßigtes Klima, das sich aus einer elaborierten Sprachkultur speist.

Elaborierte Sprachkultur

Die Titelgeschichte beispielsweise (die ganz in der Wirklichkeit lebt) handelt von einer dreiköpfigen Familie, die einen Sommertag am Meer verbringt. Die Mutter liest Jane Austen, auch der Vater und die erwachsene Tochter haben Niveau signalisierende Bücher mitgenommen. Das Beziehungsgeflecht der drei wird differenziert aus Andeutungen und Gedankensplittern entwickelt. Soviel Feinsinn! Und passiert eigentlich irgendwas? Jawohl, durch all die schicklich entblößte Nacktheit stapft ein bis zur Nasenspitze vermummter Jugendlicher in Springerstiefeln, schweißüberströmt und offenbar aggressionsgeladen. Aber er geht nur am Meer entlang, ein stummer Protest gegen Sonne und Glück.

Gekonnt entwickelt, das alles. Aber auch ein wenig harmlos. Die Geschichte stammt aus den Achtziger Jahren und erscheint, von heute aus gesehen, sehr unschuldig. So ist es nicht mehr.

Steven Millhauser, Jahrgang 1943, ist Literaturwissenschaftler. Anklänge an andere Autoren gibt es die Menge, aber er besitzt einen ganz eigenen, stillen Ton und behält stets die Übersicht über den Gang der Ereignisse. Diskret, aber sicher führt er uns dahin, wo er uns haben will: in die Überraschung, in Zwischenreiche, ins Geheimnis. Und immer hat man das Gefühl, dass er die Wörter und Sätze sozusagen poliert hat, bis alles „sitzt“. Aber genau darum werden wir niemals wirklich überrascht, packt uns nie echte Furcht. Sein „Barnum Museum“ oder seine „Spielhalle“ sind verspielte Labyrinthe, die an Borges’ Welten erinnern, ohne deren Stringenz und Dichte zu erreichen.

Im Oktober 2008 veröffentlichte Millhauser in der New York Times einen brillant formulierten kurzen Essay („The Ambition of the Short Story“), in dem er Story und Roman miteinander vergleicht. Die kleine Form, schreibt er, sei das Reich von Eleganz und Anmut. Und von Perfektion. Gern gibt man zu, dass seine Stories in genau diesem Sinne perfekt sind. Aber Millhauser lässt den Roman darauf erwidern: „Perfection is the consolation of those who have nothing else.” Ein wahrlich genialer Spruch. Und ist es nicht verblüffend, dass Daniel Kehlmann jüngst in einem Fernsehinterview auf die Frage, was ihn bewogen habe, einen Roman in neun Geschichten zu schreiben, die ebenso unerwartete wie mutige Antwort gab: Weil die Kurzgeschichte eine Form sei, in der man Perfektion erreichen könne?

Verfehltes Cover, gelungene Übersetzung

Von Steven Millhauser ist bislang nur ein Roman auf Deutsch erschienen, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete „Martin Dressler“. Es ehrt den Berlin–Verlag, dass er sich für diesen Autor einsetzt und für die Übersetzung Eike Schönfeldt engagierte, der gerade den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat und auch hier wieder sein Können unter Beweis stellt. Aber warum, warum schickt er diese zarten, ziselierten Gebilde mit einem derart marktschreierischen Cover in die Welt, das völlig falsche Erwartungen weckt? Warum quillt der Klappentext von Vergleichen mit Kafka, Becket, Nabokov usw. über? Diese Schuhe sind entschieden zu groß.

Wir raten: Entfernen Sie den Schutzumschlag. Lesen Sie die Geschichten ohne Messlatte im Hinterkopf, lassen Sie sie auf sich wirken, wie sie sind. „Geschichten wie auch Zauberkunststücke werden erfunden, weil die Wirklichkeit unseren Träumen nicht angemessen ist“, heißt es in „Eisenheim der Illusionist“. Wenn Ihnen solche Sätze aus der Seele sprechen, wird Ihnen das Buch gefallen.

Gisela Trahms

Steven Millhauser: Ein Protest gegen die Sonne. Short Storys 1986-2008. Ausgewählt von Laurenz Bolliger.
Übersetzt von Eike Schönfeld.
Berlin Verlag 2009. 318 Seiten. 22,00 Euro.