Geschrieben am 6. März 2010 von für Bücher, Crimemag

Stefanie Baumm: Am Anfang war der Tod

Masse schlägt Klasse

Viel zu oft wölken auch Kritiker interpretativ. Literaturkritik heißt aber auch Handwerkskritik. Klaus Kamberger hat eine Stichprobe aus der ausgeuferten Produktion genommen und durch die Qualitätskontrolle laufen lassen.

Es ist ja nicht so, dass wir da Mangel leiden müssten: Deutsche Krimis gibt es schließlich längst schon massenhaft. Aber wie es halt oft so ist – Masse schlägt Klasse. Zu viele Verlage lassen sich dieses (wie lange noch?) halbwegs sichere Geschäftsmodell nicht entgehen, und das Ergebnis fällt entsprechend aus: Fluten hier, Verstopfungssymptome dort.

Trotzdem (oder gerade deswegen) droht die Gefahr, dass einem in diesen Fluten auch mal eine Trouvaille entgeht. Könnte uns das zum Beispiel bei einer Stefanie Baumm so passiert sein? Immerhin legt der Droemer Verlag jetzt schon den dritten Roman aus ihrer Feder vor und keiner hat die Autorin bislang so recht zur Kenntnis genommen. Ein Versäumnis? Schauen wir nach.

Dazu stellen wir vorweg am besten die (gar nicht hinterhältig gemeinte) Frage in den Raum, besser: ins Netz, nach welchen Kriterien denn ein Verlag ein Manuskript ins Programm hievt, das auf besagter Krimi-Schiene laufen soll. Sicher doch: Die Geschichte soll spannend sein. Sicher auch, dass der Plot einigermaßen originell sein soll. Und ganz bestimmt, dass Ausdruck und Stil ein gewisses Niveau nicht unterschreiten sollten.

Kriterien?

Gewiss gibt es Bücher, die diese Kriterien nicht alle auf einmal erfüllen und dennoch gedruckt wurden, aber sei’s drum – solange man das auf der Ebene von Laune und Geschmack verhandeln kann, Schwamm drüber … Was aber, wenn alles danebengegangen ist? Wenn die Spannung nach Null tendiert, beim Plot das Prädikat „ausgelutscht“ noch einen freundlichen Klang hat und man bei Sprache und Ausdruck nur die Augen verdrehen kann? Dann haben wir es mit einem Buch von Stefanie Baumm zu tun.

„Eine eiserne Pforte trennte das Kirchengelände von der Dorfstraße. Sie quietschte leise beim Öffnen.“ Merke: Öffne keine Dorfstraße! Sonst quietscht sie!

„›Das Mordopfer ist mein Vater‹, erwiderte Falkner mit kühler, zurückhaltender Stimme. ›Das tut mir leid‹, sagte Stahl und konnte seine Verwunderung nicht verbergen.“ Ei was. Worüber wundert sich der Herr Stahl denn da? Darüber, dass jemand tot ist? Oder, dass er Opfer eines Mordes war? Oder etwa, dass das Opfer Falkners Vater war? Oder gar, dass Herr F. dies den Herrn S. „mit kühler, zurückhaltender Stimme“ wissen lässt? Fragen über Fragen.

„…konnte Stahl seine missfallend zusammengezogenen Brauen…erkennen“. Wie nun? Missfallen die Brauen da jemandem, oder fallen sie von sich aus miss? Und wenn Letzteres, tun sie das dann aufgund des Zusammenziehens durch ihren Besitzer oder von sich aus, und wohin fallen sie am Ende?

„›Wart ihr schon drin?‹, wollte Habicht statt einer Begrüßung wissen.“ Aha, offenbar will da ein Herr Habicht etwas wissen, aber eine Begrüßung will er nicht wissen

Apropos: Diese Stilblüten sind nicht etwa aus mehr als 300 Seiten mehr oder weniger mühsam zusammengesucht, um der Autorin eins auszuwischen. Sie prangen allesamt gleich vorn auf bloß zwei Seiten. Aber sie sind keine Ausnahme.

Stefanie Baumm war, bevor sie sich aufs Romane-Schreiben einließ, Journalistin. Vielleicht sogar eine gute. Denn für den Job braucht man mitnichten eine bildhafte, blumige oder sonst wie schmuckvolle Sprache. Präzision tut’s auch. Und über die verfügte dann hoffentlich zur Not auch noch eine routinierte Redaktion, die ihr zur Hilfe eilen und sie vor allfälligen Sprachunfällen bewahren konnte. Vom Droemer-Lektorat ist ihr solches leider nicht widerfahren.

Doch es bleibt nicht bei Fehltritten zitierter Art. Offenbar hat unsere Autorin sich ein Arsenal an Klischeetöpfen nach Art einschlägig berüchtigter U-Literaten und -tinnen zusammengerührt, und darum „blitzen“ nun „weiße Zähne“, schwellen „üppige Busen“, sind Gesichter „wettergegerbt“, Augen „verengen sich zu Schlitzen“, und Arme sind „muskelbepackt“, Hände dafür „sehnig“. Profile haben „kantig“ zu sein, und was ist mit den Nasenflügeln? Aber klar doch: sie „beben“.

Ach ja, die berühmten Schultern zucken auch mal wieder so fröhlich wie grammatikalisch schief vor sich hin. Das heißt, sie zucken nicht selber, man zuckt sie. Alles klar? Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Gleiches dann auch den Lippen passiert. Kleine Analogie gefällig? Er zuckte die Schultern. Sie lächelte die Lippen. Sozusagen ein Fall von transitiv-transitorischer Logik.

Spannung

Kriegt Stefanie Baumm denn trotz allem wenigstens ein wenig Spannung oder gar Spannungsbögen in ihre Geschichte hinein? Normalerweise baut man diese auf, indem man Erzählstränge entwickelt und geschickt verknüpft, das Erzähltempo mal verzögert, mal beschleunigt, kurzum: für Bewegung sorgt. Im Idealfall kann so ein Sog entstehen, der den Leser immer mehr hineinzieht ins fiktive Geschehen. Leider wieder Fehlanzeige. Baumm dient nämlich als einziger Spannungseffekt wieder einmal die schon tausendfach abgenudelte Andeutung, der geheimnisgeschwängerte Fingerzeig ins Irgendwo und Irgendwie. Fünf Tote in dörflicher Idylle – so etwas kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern hat eine Vorgeschichte (die man natürlich erst auf den letzten Seiten erfährt). Vorher dräut es mal hier, lauert das Schicksal dort und raunt es von einem „Dämon“, der irgendwann „zurückkehrt“.

Wer liest denn so was?

Wer lässt sich denn heute noch mit derart billigem Waber-Food abspeisen? Vor allem, wenn sich die Geschichte von einem totgeschlagenen Dorfpfarrer, 250.000 Euro geklauten Spendengeldern, einer Kindstötung, Morddrohungen, Selbstmord, einem Mordversuch (an einer Ermittlerin), einer nach 25 Jahren wieder ausgebuddelten Leiche und sonstigem Unheil kaugummizäh dahinzieht. Letzte Hoffnung: Endet die Aufdeckung eines so lange unter dem Deckel gehaltenen Verhängnisses dann wenigstens in einem großen Finale? Ach was. Platter geht’s kaum: Vor langem war da mal ein Seitensprung, und so was kann auch nach Jahren noch tödliche Folgen haben …

Für die fade Aufplusterung eines derart dünnen Plots bringt Stefanie Baumm es immerhin auf 352 Seiten. Das sind, wir wollen ja fair sein, denn doch ein paar zu viel; sagen wir: 351. Und somit ein schlechter Dienst des Verlags an der Konsolidierung des Krimi-Booms. Dabei hat Droemer eigentlich ja einen Ruf zu verlieren: Dort sind einst so gewichtige Autoren wie Turow & Co. erschienen. Aber „Niveauhalten“ ist heutzutage wohl keine kaufmännische Kategorie (mehr).

Klaus Kamberger

Stefanie Baumm: Am Anfang war der Tod. Kriminalroman.
München: Droemer Verlag 2009. 352 Seiten. 19,95 Euro.

| Stefanie Baumms Homepage
| Stefanie Baumm bei DroemerKnaur