Geschrieben am 22. Oktober 2006 von für Bücher, Musikmag

Stefan Maelck: Pop essen Mauer auf

Der Pop, der aus dem Osten kam

Maelck versucht eine satirische Abrechnung mit dem moralisch verkommenen Staatsapparat der DDR – und hat dabei den Bogen leider deutlich überspannt.

Wer kennt im Westen überhaupt die ostdeutschen Bands Lift, Reform oder die „dienstälteste“ Rockformation der DDR „Stern-Combo Meissen“? Wahrscheinlich niemand. Dafür ist die Jugend westlich der Elbe mit Elvis Presley, den Scorpions oder Peter Maffay bestens vertraut. Aber wer hätte gedacht, dass die musikalischen Wurzeln dieser Rocker auch im ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Staat liegen. Pop-Journalist Stefan Maelck will uns diesen ostdeutschen Bären in einem satirischen Kraftakt aufbinden.

Dass die Stasispitzel den Westen mit den abenteuerlichsten Methoden ausspionierten und sabotierten, ist spätestens seit dem Mauerfall kein Geheimnis mehr. Dass Mielkes Überwachungsprofis den „Pop erfanden“, um die Bundesrepublik mit „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ zu stürzen, ist allerdings ebenso neu wie unglaublich. So unfassbar und undenkbar, dass man schon eine gehörige Portion Phantasie benötigt, um es in Worte zu fassen. Der 1963 im mecklenburgischen Wismar geborene Stefan Maelck hat die nötige Vorstellungskraft aufgebracht und stellt auf gut hundert Seiten die Geschichte des Pop auf den Kopf.

Für die Karriere der westlichen Rockstars, Popdiven und Punkprovokateure zeichnet sich angeblich ein Mann des Ostens verantwortlich: Stasioffizier Duttweiler. Er soll fast alle Songs von Elvis, den Sisters of Mercy, Tina Turner, eigentlich von fast allen Musikern des kapitalistischen Westens komponiert und produziert sowie ihre Fernseh- und Konzertauftritte koordiniert haben. Einige Stars wie Michael Jackson oder Dieter Bohlen sollen sogar regelrecht von ihm geklont worden sein. Auf die Spur des kongenialen Popspions ist ein Musikjournalist aus dem hohen Norden gekommen, der unschwer als des Autors alter ego zu erkennen ist. Ludger Bauer sein Name und ebenfalls 1963 in Wismar zur Welt gekommen.

Investigativer Pop-Fahnder

Was Maelck dem Leser mit „Pop essen Mauer“ auf vorlegt, ist nicht – wie im Vorwort schelmisch behauptet – der posthum veröffentlichte Nachlass des investigativen Pop-Fahnders Ludger Bauer. Es ist zuallererst eine sehr individuelle Abrechnung mit dem Pop-Schrott und den Pop-Perlen des Westens. Und eine satirische Abrechnung mit dem moralisch verkommenen Staatsapparat der DDR. Erich Honecker degeneriert bei Maelck zur impotenten Schnapsdrossel und seine Ehefrau Margot zum notgeilen Groupie. Und die Popikonen des Westens werden in den Händen von Stasimann Duttweiler zu Marionetten der Diktatur. Bis sich die Pop-Mutanten dieser Welt irgendwann verselbständigen und den vorprogrammierten sozialistischen Dienst versagen. Was schließlich zu Fall kommt ist, ist nicht die westdeutsche Gesellschaftsordnung, sondern die Berliner Mauer. Denn die revolutionäre Pop-Power macht zwischen Ost und West keinen Unterschied. So die sagen- und fabelhafte Neuinterpretation des Zusammenbruchs der DDR.

„Was darf die Satire. Alles“, hat der scharfzüngige Publizist Kurt Tucholsky 1919 behauptet. Alles. Ja! Nur nicht über die Maßen albern sein. Maelck hat den satirischen Bogen in seinem grotesken Enthüllungsroman überspannt. Zwischen Satire und Klamauk wird in rasendem Tempo gewechselt. So manch angestrengter Sprachwitz rast da schon mal als billiger Kalauer vorbei. Wenn die „Blutwurst“ im Fresspaket aus dem Westen ausbleibt und im Osten für den „Wurst-Blues“ sorgt, dann bleibt beim Leser schnell das Lachen aus. Maelck führt ein Witzfigurenkabinett vor, das sich für nichts zu schade und im Grunde zu nichts zu gebrauchen ist. Selbst zur Unterhaltung taugt es kaum. Auch das furiose Finale in Duttweilers Pop-Werkstatt vermag nicht zum Schmunzeln oder Schreck verführen. Denn bis dahin hat Maelck auf der Klaviatur des Klamauks bereits so dilettantisch und so ausgiebig geklimpert, dass einem die Lust am Lesen längst vergangen ist. Wer die Sünden des POP und der DDR satirisch anprangern will, sollte mehr Gefühl für Zwischentöne besitzen.

Jörg von Bilavsky

Stefan Maelck: Pop essen Mauer auf. Rowohlt Berlin 2006. 160 Seiten. 14,90 Euro.