Geschrieben am 3. März 2012 von für Bücher, Crimemag

Sophie Hannah: Totes Herz

Totes Holz

– In ihrem Heimatland Großbritannien ist sie eine gelobte Größe ihres Genres, die Deutschen tun sich schwer mit ihr: Sophie Hannah, vielfach ausgezeichnet und in dreißig europäische Länder verkauft (laut Verlagsangaben). „Totes Herz“ ist der vierte ins Deutsche übersetzte Roman und ein guter Anlass, sich genauer anzusehen, ob hier jemand zu Unrecht verschmäht wird. Henrike Heiland hat sich´s angesehen …

Die Ausgangskonstellation lässt hoffen: Ruth, die noch mit einem traumatischen Ereignis in ihrer Vergangenheit zu kämpfen hat, liebt Aidan, einen etwas zurückhaltenden, wortkargen Kerl Marke Heathcliff, aber Frauen stehen ja angeblich auf die Geheimnisvollen, und Aidan hat tatsächlich ein Geheimnis, das er ihr in der Nacht ihrer Verlobung gesteht: Er hat vor Jahren eine Frau getötet. Aidan nennt Ruth auch den Namen dieser Frau, sie heißt Mary Trelease, und nachdem Ruth ein wenig herumrecherchiert hat, weil ihr der Name so bekannt vorkommt, muss sie feststellen: Komisch, die lebt doch noch, diese Mary. Aidan behauptet aber weiterhin, dass er sie auf dem Gewissen hat. Er geht sogar zur Polizei, um den Mord an ihr zu gestehen. Im selben Moment sitzt Ruth bei einer anderen Polizistin, um dieser zu erklären, dass Aidan zwar einen Mord gestanden hat, ihn aber keineswegs begangen haben kann.

Das ist doch erstmal ein schönes Rätsel. Kaum, dass man dieser Mary im Text begegnet, ist auch klar, dass so manches faul ist, kein Detail passt zum anderen, alles ist irgendwie schräg, und aus so etwas kann sich ja durchaus noch eine schöne, spannende Geschichte entwickeln.

Fad

Leider (und wir sind schnell beim Leider) deutet sich auf den ersten sechs Seiten bereits an, was sich auf den restlichen sechshundert einlösen wird: Das Buch ist fad. Erzählt wird quälend langsam und redundant, Spannung spürt man frühestens auf den letzten hundert Seiten, und da vermutlich auch nur, weil man es endlich hinter sich bringen will, aber dann wird einem die Lösung noch gefühlte achtzehn Mal widergekäut, damit es auch der Letzte kapiert. Die Funktion des besonders begriffsstutzigen Lesers übernimmt einer der Vorgesetzten im Polizeibetrieb, indem er lauter dämliche Fragen stellt und sich die Sache haarklein aufs Neue erklären lässt.

Dünn

Weiter ist der Fall der toten-untoten Mary Trelease so wahnsinnig dünn gestrickt, dass man der Geschichte noch beim Lesen warme Unterwäsche wünscht, damit sie sich nicht erkältet. Von der haarsträubenden Konstruktion mal abgesehen. Dazu geht es zum großen Teil um Malerei, und es ist wirklich sehr schwierig, Gemälde so treffend zu beschreiben, dass die Leserschaft etwas damit anfangen kann. Wenn es dann auch noch um zwanzig und mehr Gemälde geht – oh bitte. Der Wahnsinn der Kunstszene wird hier und da angezwackt, bleibt aber – excuse the pun – farblos.

Öd

Wären wenigstens die Charaktere noch irgendwie interessant, aber nicht einmal das wird eingelöst: Ruth ist ein verstörtes Hascherl, sie weiß nie so genau, wem sie nun was glauben soll, dazu wird sie noch als sehr klein und zart beschrieben, und man stellt sie sich durchweg mit weit aufgerissenen Kuhaugen und bebenden Lippen vor. Aidan ist der Typ „heute so, morgen so“, man fragt sich nach drei Sätzen, warum sich irgendwer in diesen wankelmütigen Unsympathen verlieben sollte. Obwohl Ruth aus der Ich-Perspektive erzählt wird, schafft es die Autorin nicht, die Faszination für Aidan rüberzubringen, und wann immer Ruth auf diesen sechshundert Seiten beteuert, dass sie ihn trotz allem liebt (und das „trotz allem“ bedeutet natürlich, dass er im Laufe der Geschichte aller möglicher Schandtaten verdächtigt wird), liest es sich schal, öd und leer, nichts weiter als eine Behauptung.

Die beiden Polizisten, die zwischen Ruths Erzählungen ermitteln – sie heißen Simon und Charlie (von Charlotte) und sind miteinander verlobt –, reißen es auch nicht raus, im Gegenteil. Charlie ist eine trampelige, mies gelaunte Frau, die offenbar mit den vielen Männergeschichten in ihrer Vergangenheit nicht klar kommt, und Simon, Enddreißiger und noch jungfräulich dank christlicher Erziehung, ist ebenfalls daueraggressiv. Sinnvolle Kommunikation findet zwischen diesem Paar ebensowenig statt wie zwischen Ruth und Aidan (nur aus anderen Gründen), der behauptete Intellekt der Ermittler wird an keiner Stelle wirklich gezeigt, und die Ermittlungsmethoden sind krude.

Krud

So krude wie manch ein Szenenbau. Da spricht Ermittlerin Charlie mit einer Galeristin, legt ihr ununterbrochen Worte in den Mund, in der Hoffnung, dass sich die Frau an jahrelang zurückliegende Ereignisse im Detail erinnert, und die Galeristin sagt mehrfach so etwas wie: „Ach ja, JETZT, wo Sie’s sagen, fällt es mir wieder ein.“ Dramaturgisch bedenklich. In einer anderen Szene, in der jede Sekunde zählen sollte, schiebt die Autorin noch seitenlanges Geschwätz von Internatsmädchen ein, wodurch Ermittler Simon – und die geschätzte Leserschaft – noch ein paar handlungstragende Details vermittelt bekommen sollen. Es hakt an so vielen Stellen. Am großen Bogen sowieso.

Dabei finden sich interessante Themen, grundsätzlich betrachtet, in der Geschichte: Krasse soziale Unterschiede. Sexueller Missbrauch. Kindesmissbrauch. Und besonders: Stalking. Menschen, die wahrhaft krank vor Liebe sind. Eine solche Besessenheit kann man wunderbar literarisch umsetzen, ob nun aus Täter- oder aus Opferperspektive. Herrliche Beispiele gibt es da, „Enduring Love“ von IanMcEwan sei am Rande erwähnt, und wie oft haben Autoren wie Patricia Highsmith sich dieses Themas angenommen. Sophie Hannah scheitert grandios daran. Auch das Thema Opfermentalität, die Verarbeitung eines Traumas, wird bei ihr verhunzt. Man könnte so weit gehen und sagen, ihre Darstellung einer Frau, die Opfer eines schrecklichen Verbrechens wurde, ist eine Beleidigung für alle Verbrechensopfer. Ruth liest nur tonnenweise Ratgeberliteratur und gibt sich auch nach Jahren immer noch die Schuld an allem. Es gibt keinen substanziellen Hinweis darauf, dass sie vor ihren schrecklichen Erlebnissen eine starke Frau war, worauf sie aufbauen können – lediglich Behauptungen, dass dem so war. Hannah stellt Ruth nicht als gebrochene Persönlichkeit dar, die sich selbst aus dem Sumpf ziehen muss, sondern als verschrecktes, lebensuntüchtiges Weibchen, das gerettet werden will, und dann sind da die starken Arme des unnahbaren Rahmenbauers Aidan, der zwar seine Geheimnisse hat, aber ach, eine innere Stimme verrät Ruth, dass er in Wirklichkeit … Moment, falsches Genre, oder? Nein, „Psychothriller“ steht auf dem Buch, und es haben ja auch dauernd alle Angst, zucken rum, reißen die Augen auf, können nicht drüber reden … Na gut.

Nicht gut

Das wären schon mal genug Minuspunkte für ein Buch, man könnte getrost an dieser Stelle aufhören zu schimpfen, wäre da nicht noch die Übersetzung. Ja, wir wissen alle, die Preise für Taschenbuchübersetzungen aus dem Englischen sind ein hysterischer Lacher, und wenn man davon leben will, muss man eine beachtliche Menge Seiten am Tag übersetzen, da bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Die Übersetzerin macht das im Großen und Ganzen auch ordentlich unter den gegebenen Umständen, aber ein paar Anmerkungen seien erlaubt: Der Ton scheint nicht ganz getroffen. Im englischen Original poltern Charlie und Simon längst nicht so gepflegt durch den Alltag. Im Deutschen zuckt man unwillkürlich bei jedem Kraftausdruck zusammen, weil er nicht zum Rest des Textes passen will. Und die nächste Frage ist vielleicht auch eine grundsätzliche: Wie viel Landeskunde braucht man als Übersetzerin? Bird ist besonders in Großbritannien und gerade im Kontext weibliche Vornamen nicht zwingend ein gefiedertes, flugfähiges Tier mit Schnabel, sondern häufig ein weibliches menschliches Wesen, vorzugsweise unter vierzig. Ein sixth-former geht nicht in die sechste Klasse, sondern in die Oberstufe, englisch sixth-form. Und so weiter. Die Online-Wörterbücher spucken diese Hinweise auf Nachfrage aus, ohne dass man lange danach suchen müsste, aber da sind wir wieder bei der Frage, wie viel Recherchezeit man sich bei einem Hungerlohn geben kann und darf. Sekunden sind kostbar.

Die abschließende Überlegung wäre, ob der ausbleibende Erfolg von Sophie Hannah – dies ist ja nur eins von vielen ihrer Bücher – nicht eben auch damit zu tun haben mag, dass aus welchen Gründen auch immer der Ton nicht richtig getroffen wird. Man stelle sich vor, Don Winslow wäre brav und ordentlich in ein glattgebügeltes Schuldeutsch übertragen worden. Nicht auszudenken.

Wie auch immer, was dieses Buch betrifft: Da gab es sowieso nichts mehr zu retten, und wer mit „Totes Herz“ bei Hannah einsteigen sollte, wird so schnell kein zweites von ihr lesen. Lieber ein anderes probieren. Oder eine andere Autorin. Wer weiß.

Henrike Heiland

Sophie Hannah: Totes Herz. (The Other Half Lives, 2009). Roman. Deutsch von Anke Angela Grube. Köln: Bastei Lübbe 2012. 603 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Webseite der Autorin. Artikel im Independent.
Homepage von Henrike Heiland.

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