Geschrieben am 6. April 2011 von für Bücher, Litmag

Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer

Vergnügliches Potpourri

– Wieder einmal ist die Verlockung groß, darüber nachzudenken, wie viel in dem neuen Roman von Siri Hustvedt wohl mit ihrer eigenen Realität zu tun hat und wie viel Fiktion ist. Von Kerstin Carlstedt

Nach dem Erscheinen des Buches soll die New Yorker Autorin einen Anruf von einem besorgten Freund bekommen haben: „Siri? Ich habe gerade den Titel deines neuen Buchs gelesen. Stimmt etwas nicht mit dir und Paul???“ Diese Frage wird Siri Hustvedt seither sicherlich öfter gehört haben. Selbst Schuld! Denn wer mit einem berühmten Schriftsteller wie Paul Auster verheiratet ist und seinen neuen Roman „Der Sommer ohne Männer“ nennt, muss damit rechnen, dass die geneigte Leserschaft Sturm läuft.

Siri Hustvedt erzählt eine ganz alltägliche Geschichte, wie sie jedem von uns nach einer langjährigen Partnerschaft zustoßen könnte. Die Heldin, Mia, ist eine immer noch beeindruckend schöne, jedoch inzwischen 55-jährige Poetin mit Doktortitel und seit dreißig Jahren mit ein und demselben Mann, Boris, zusammen. Aus heiterem Himmel schlägt Boris seiner Frau eine „Pause“ vor. Er möchte mehr Zeit haben, um den Coup de Foudre mit seiner 25 Jahre jüngeren vollbusigen französischen Laborassistentin auszukosten.

Unsere Heldin erleidet einen kapitalen Nervenzusammenbruch und findet sich auf der psychiatrischen Station eines Krankenhauses wieder. Doch das Leben muss irgendwie weitergehen. Mia stellt sich dem neuen Status als Single und beschließt, emotional und räumlich Abstand zu nehmen.

Den Sommer will sie ausgerechnet an dem Ort ihrer Kindheit, einer Kleinstadt in Minnesota, verbringen. Sie flüchtet zu ihrer 90-jährigen Mutter, die dort in einer Seniorenresidenz lebt. Sie ist umgeben von einer Gruppe eigenwilliger Freundinnen, allesamt Witwen, deren Gesellschaft Mia sucht und von deren Altersweisheit sie profitiert. Mit ihren 55 Jahren ist Mia das Küken in dieser Clique von Frauen, die ihr Leben gelebt haben und sich nun auf ein Ende ohne Mann an ihrer Seite vorbereiten.

Auch Mia sieht das Alter kommen und durch die Begegnungen mit den neuen Bekannten werden Erinnerungen an längst vergessene Erlebnisse wach. Sie veranstaltet in dem örtlichen Kulturverein einen Poesie-Kurs für pubertierende Mädchen. Als eine der Teilnehmerinnen von Gleichaltrigen gemobbt wird, muss Mia an ihre eigene Jugend als Außenseiterin denken. Aber sie schwelgt auch in schönen Erinnerungen an die glückliche Zeit, als ihre Tochter noch ein Baby war, denn sie lernt Lola kennen. Lola kümmert sich um ihren neugeborenen Jungen und die dreijährige Tochter weitgehend allein, denn ihr Mann, ein cholerisches Ekelpaket, ist beruflich viel unterwegs.

Der Tapetenwechsel verfehlt seine Wirkung nicht. Ihr eigenes Unglück relativiert sich angesichts der Probleme, die die Menschen in Mias neuer Umgebung aushalten müssen.

Einblicke in sehr unterschiedliche Disziplinen

Alle Figuren in dem Roman befinden sich in einer Phase der Veränderung: Die Mädchen, die zu Frauen heranreifen, Lola, die das Leben mit nunmehr zwei Kindern zu meistern lernt, Mia, die nach langer Zweisamkeit mit sich allein klarkommen muss, und ihre Mutter und deren Freundinnen, die sich an den Gedanken gewöhnen, dass die Zukunft nunmehr hinter ihnen liegt.

Ein Roman, der sich mit problembehafteten Themen wie Schmerz, Zurückweisung, Verrücktwerden, Mobbing, verbaler Gewalt, Demenz und schleichendem Tod befasst, lässt eine mühselige Lektüre erwarten. Doch Siri Hustvedt verschafft ihren Fans und Kritikern durch dieses Potpourri aus Tagebucheinträgen, Briefen, E-Mails und Gedichten ein vergnügliches Leseerlebnis.

Das Buch bietet interessante Einblicke in sehr unterschiedliche Disziplinen. Es beinhaltet eine Art Schreibwerkstatt im Schnelldurchlauf sowie Theorien zu Psychoanalyse, Neurologie, Philosophie und den Unterschieden zwischen Männern und Frauen.

Hustvedt hat in einem Interview zugegeben, dass sie sich bei den Figuren des Romans tatsächlich von lebenden Personen hat inspirieren lassen. Beispielsweise die schauspielernde Tochter Daisy würde ihrer eigenen Tochter mit Paul Auster, Sophie, ähneln. Das Verhältnis der Protagonistin Mia zu ihrer Schwester und Mutter wären von Hustvedts eigener Familie inspiriert.

Bleibt am Ende nur noch die Frage: Stimmt etwas nicht mit Siri und Paul? Hustvedts nächstes Buch trägt übrigens den Titel „Monsters at Home“ – ein Hinweis, der erneut viel Raum für Spekulationen besorgter Freunde zulässt.

Kerstin Carlstedt

Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer (The Summer Without Men, 2011). Aus dem Amerikanischen von Uli Aumüller. Reinbek: Rowohlt Verlag 2011. 304 Seiten. 19,95 Euro.
Zur Homepage von Siri Hustvedt. Ein Interview mit Siri Hustvedt finden Sie hier, eine Leseprobe (PDF) hier.

Lesetermine:
8.5.11.: Babylon, Berlin, Rosa-Luxemburg-Straße 30
9.5.11.: Thalia Theater, Hamburg, Alstertor 1
10.5.11.: Deutsch-Amerikanisches Institut, Heidelberg, Sofienstr. 12