Geschrieben am 29. Oktober 2011 von für Bücher, Crimemag

Shoko Tendo: Ich, Tochter eines Yakuza

Die Maske ist ab – unglamouröse Bekenntnisse einer Japanerin

– Einsichten into the belly of the beast, ins Innere der [[Yakuza]], verspricht ein Buch von Shoko Tendo. Warum das nicht ganz hinhaut, erklärt Susanna Mende.

Eine Frage sei vorab geklärt: Ja, der Frauenrücken mit dem prachtvollen Tattoo einer Lebedame aus der Muromachi-Zeit auf dem Buchcover ist der Rücken der Autorin Shoko Tendo. Auch wenn die Vermutung naheliegt, dass dies das klassische Erkennungszeichen der Mitgliedschaft bei einer Yakuza ist, handelt es sich hier lediglich um eine Reminiszenz an die Vergangenheit; als Shoko Tendo das Tattoo im Alter von 21 anfertigen lässt, hat sie ihre Drogenkarriere bereits hinter sich und mit den Yakuza nur noch am Rande zu tun, ist jedoch gewillt, sich auf diese provozierende Weise zu ihrer Geschichte zu bekennen.

Außerdem suggerieren nicht nur der authentische Rücken, sondern auch zahlreiche Familienfotos, dass es sich hier um ein Stück Bekenntnisliteratur handelt, was jedoch nur eingeschränkt gilt, steht der Text doch in der Tradition der japanischen I-Novel, die zwar meist in der ersten Person verfasst ist, auf persönlichen Erfahrungen des Autors/der Autorin beruht und bevorzugt die Schattenseiten einer Gesellschaft zum Thema hat, jedoch durchaus fiktionale Anteile besitzt, wie auch Shoko Tendo betont.

Spaß und Hölle

Anders als es der Titel „Ich, Tochter eines Yakuza“ suggeriert, ist der Abstieg der Protagonistin in die Drogenhölle, die einhergeht mit Erfahrungen massiver männlicher Gewalt und sexueller Abhängigkeit, nicht direkt aus der Karriere ihres Vaters als Yakuza ableitbar. Als Shoko mit zwölf Jahren beginnt, nachts mit ihrer älteren Schwester aus dem Fenster zu klettern, um sich in den Bars von Sakai, einem vornehmen Ort in der Präfektur Ōsaka, wo sie mit ihrer Familie lebte, zu vergnügen, ist das keine Trotzreaktion auf die Hänseleien und Diskriminierungen in Schule und Nachbarschaft, die die allseits bekannte Mitgliedschaft ihres Vaters bei einer Yakuza mit sich bringt, sondern pubertärer Abenteuerlust geschuldet. Überhaupt erfährt man nicht besonders viel über die Aktivitäten des Vaters, außer, dass er ein paar gut gehende Unternehmen führt und seiner Familie so einen komfortablen Lebensstil bieten kann. Im Laufe der Zeit wird das Familienidyll jedoch durch seine Alkoholexzesse und sexuellen Eskapaden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Als er schließlich erkrankt und in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, sieht er sich gezwungen, Schulden zu machen, was dem Ruf eines Yakuza schadet. Schließlich gehört es zu dessen Selbstverständnis, mit Geld und Statussymbolen zu prahlen. Sein Entschluss, sich ehrenhalber von seiner Yakuza zu trennen, liefert ihn und seine gesamte Familie den skrupellosen Kredithaien schutzlos aus.

Drogen, Männer und Hölle

Während sich die Eltern schließlich in einer bescheidenen Existenz einrichten, verliert sich Shoko im Speed-Rausch und findet anstelle der Familie Halt bei ebenfalls drogensüchtigen Freunden und zweifelhaften Männern, meist Yakuza-Mitgliedern, die zu exzessiver Gewalt neigen. Auch wenn Frauen in den Organisationen der Yakuza bis zum heutigen Tag keine sichtbare Rolle spielen, zeichnet sich im Privaten das Verhalten der Männer durch einen extrem autoritären Umgang aus, der absoluten Gehorsam von Frauen verlangt. Shoko bezahlt ihre Aufmüpfigkeit mit Prügeln und zahlreichen Narben, bis es ihr irgendwann gelingt, sich aus dem wiederkehrenden Muster von Unterwerfung und emotionaler Abhängigkeit zu lösen und einen „netten“ Freund zu finden.

Raus aus der Hölle

Der Rest von Shoko Tendos Geschichte ähnelt, trotz der deutlich anderen gesellschaftlichen Verhältnisse in Japan, den in der Zwischenzeit zahlreichen weiblichen „Durch die Drogenhölle und zurück“-Zeugenberichten, die hauptsächlich mit dem Überlebenswillen der Protagonistinnen punkten, jedoch stets einen größeren oder reflektierten gesellschaftlichen Kontext vermissen lassen. Im Falle von Shoko Tendo sind die im Anhang befindlichen Anmerkungen von Manabu Miyazaki, einem gesellschaftskritischen japanischen Bestsellerautor, erhellend, der den besonderen Status von Yakuza-Familien innerhalb der japanischen Gesellschaft kommentiert.

Das eigentliche Verdienst dieser I-Novel ist wohl eines, das man aus westlicher Perspektive leicht übersieht, da die vielen gut ausgebildeten, berufstätigen und modebewussten Japanerinnen auf den ersten Blick ihren Schwestern in den USA und Europa ähneln: Dass eine japanische Frau ihre Stimme laut erhebt, um ihre Lebenserfahrungen auf so drastische Weise zu schildern, und sich um Gesichtswahrung keinen Deut kümmert, dürfte selbst im 21. Jahrhundert für japanische Verhältnisse als radikal gelten.

Susanna Mende

Shoko Tendo: Ich, Tochter eines Yakuza  (Yakuzana Tsuki, 2004). Deutsch von Cora Hartwig, Hirofumi Yamada. München: riva Verlag 2011. 226 Seiten. 17,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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