Ein Roman wie ein Hefeteig
Serhij Zhadan ist neben Juri Andruchowitsch einer der profiliertesten jungen Autoren in der Ukraine. Der 1974 in Starobilsk geborene Autor fängt in seinen Gedichten, Erzählungen und Romanen das Lebensgefühl einer sich im Übergang zwischen bürokratischem Sozialismus und entfesseltem Kapitalismus befindlichen Gesellschaft ein und zeigt ein Land, in dem sich die Einflüsse von West und Ost kreuzen, vermischen und beharken. Von Karsten Herrmann
Im Zentrum von Zhadans neuem Roman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ steht der junge Hermann, der als PR-Referent einer Partei in Charkiw arbeitet. Da erfährt er, dass sein Bruder, der nahe ihrem Geburtsort eine Tankstelle am Rand der Steppe betreibt, verschwunden ist. Mit Charlie Parker in seinem Musik-Player macht er sich auf den von Anfang an abenteuerlichen Weg, um nach dem Rechten zu sehen. Vor Ort, wo zwei skurrile Angestellte seines Bruder den Betrieb aufrechterhalten, muss er feststellen, dass ein mächtiger Oligarch versucht, sich die zwischen dem Kohle- und Stahlrevier Donbass und Charkiw strategisch gut gelegene Tankstelle unter den Nagel zu reißen – und bald geht ein erster Tankwagen in Flammen auf.
Der Kampf um das „bisiness“ seines Bruders dient Serhij Zhadan nur als Startrampe für einen verrückten Trip Hermanns durch die Steppenlandschaften und Maislabyrinthe der Umgebung. So lernt Hermann Ernst „Thälmann“ kennen, der auf einem alten Flugplatz haust, seinem Traum vom Fliegen hinterherhängt und melancholisch seufzt: „Wer hat unsere Fahrkarte in den Himmel gestohlen?“ Gemeinsam mit seinen alten Bekannten fährt er zu einem Auswärts-Fußballspiel gegen die gefürchteten „Gasler“ durch die endlose Weite und Leere der Steppe – „ohne Inhalt, Form und Subtext“ –, um einen gefährlichen Triumpf zu feiern. Es geht zu Schmugglern und Schiebern an der Grenze und in ein EU-Camp, in dem nomadisierende Mongolen auf ihrem Weg nach Westen Station machen.

Serhij Zhadan, 2007
Anarchisch dahintreibenden Fantasie und Fabulierlust
Episodenhaft reihen sich so die in der Regel durch reichlich Alkohol befeuerten Abenteuer und Erlebnisse Hermanns aneinander und natürlich bleibt dabei auch nicht die eine oder andere amouröse Begegnung aus. Die Ukraine zeigt sich als ein Schmelztiegel der Völker und Kulturen, in dem archaische Traditionen auf das 21. Jahrhundert und das Geschäftemachen um jeden Preis treffen.
Serhij Zhadans Prosa zeichnet sich durch eine ungefilterte sinnliche Intensität aus und ist aufgeladen mit ebenso schrägen wie originellen Metaphern: „Unsere Schatten zerflossen in der Abendsonne wie Fettflecken auf Butterbrotpapier.“ Sein Ton ist frech, witzig und paradox. In seinen Beschreibungen lässt er die Steppe und ihre Bewohner surreal-mythische Formen annehmen und verwandelt sie in wilde Traumlandschaften, in die dann aber doch immer wieder schelmisch das ganz Banale-Reale einbricht.
„Die Erfindung des Jazz im Donbass“ gleicht dabei einem mächtigen Hefeteig, der ausufernd über alle Grenzen tritt und luftige Blasen wirft. Und so verliert sich der Leser letztlich über die knapp 400 Seiten des Romans auch zunehmend in der überschäumenden und anarchisch dahintreibenden Fantasie und Fabulierlust des Serhij Zhadan.
Karsten Herrmann
Serhij Zhadan: Die Erfindung des Jazz im Donbass. Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr. Suhrkamp 2012. 394 Seiten. 21,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Foto Serhij Zhadan: Maciek Król