Bewundernswert mutig
Impressionistische, kompetente Reportagen einer tunesischen Journalistin von einer Reise durch den Irak.
Ein Sachbuch über die aktuelle Situation im Irak zu empfehlen, ist gar nicht so einfach. Seit spätestens einem Jahr, seit der amerikanisch-britischen Invasion in dieses Land, sind die Medien randvoll mit Nachrichten, Kommentaren, Gesprächen, Hintergrundartikeln usw. Und es gibt auch bereits eine Unzahl von Buchveröffentlichungen zu diesem derzeit alles überragenden internationalen Thema. Und trotzdem sei auf den schmalen Band mit kleinen Reiseimpressionen und Reflexionen von Sehim Bensedrine ganz besonders hingewiesen.
Einmal wegen der Autorin. Sie gehört zu jenen bewundernswerten mutigen Schriftstellerinnen und Journalistinnen aus arabischen Ländern, die in ihrem Kampf für Menschen- und Frauenrechte sehr viel riskieren. Sehim Bensedrine wurde wegen ihrer Veröffentlichungen und ihres Einsatzes gegen die tunesische Mediendiktatur in den letzten Jahren immer wieder verhaftet, verfolgt, auch zusammengeschlagen. Sie war auch während des Saddam Hussein-Regimes bereits im Irak, um den Widerstand gegen die Diktatur der Baath-Partei zu unterstützen.
Und ihre aktuellen Reportagen aus dem ‚besiegten befreiten‘ Irak sind auch deshalb zur Lektüre zu empfehlen, weil sie ganz einfach sehr gut schreiben kann – und in Ursel Schäfer auch eine exzellente Übersetzerin gefunden hat. Als Tunesierin spricht Sehim Bensedrine Arabisch und ist so bei ihren Gesprächen, vornehmlich in Bagdad, nicht auf Dolmetscher angewiesen.
Jedes der insgesamt 19 Kapitel sind kleine Meisterwerke eines impressionistischen, aber gleichwohl kompetenten Journalismus. Wunderbar, mit welche Liebe sie irakische Frauen schildert, die voller Verzweiflung hoffen, dass es nach dem Saddam-Terror und der amerikanischen Besatzer-Arroganz noch eine Zukunft für den Irak gibt. Erschütternd ihre Beobachtungen über das Ausmaß der wirtschaftlichen, sozialen und (nicht zu vergessen!) der ökologischen Zerrüttung des Landes. Beeindruckend ihr Vertrauen in die große humane Kraft des irakischen Volkes trotz aller unübersehbaren (und leider auch manchmal verständlichen) Flucht in Formen des gewalttätigen Widerstandes. Beispielhaft ihr Respekt vor dem Einsatz des (nach ihrer Rückkehr aus dem Irak getöteten) UN-Beauftragen Sergio de Mello.
Zu wissen, dass es im Irak Frauen gibt, die der Gewalt, vielleicht wider besseren Wissens, trotzen und in Tunesien Frauen wie Sehim Bensedrine aufrecht für die Menschenrechte eintreten, macht Mut. Man kann nur hoffen, dass dieses im Umfang schmale, aber in seinem humanen Gehalt sehr große Buch, im deutschsprachigen Publikum auch ein ihm gebührendes Echo findet. Nach der Lektüre verbinden wir mit dem Irak nicht mehr nur eine Flut von immer abstrakt bleibenden Fernsebildern, sondern auch die Menschen, die die Autorin auf ihrer Reise in ein zerstörtes Land gesehen und uns in ihrem Buch vorgestellt hat.
Carl Wilhelm Macke
Sehim Bensedrine: Besiegte Befreite. Eine arabische Journalistin erlebt den besetzten Irak. Aus dem Französischen von Ursel Schäfer. Kunstmann Verlag. München, 2004. Gebunden. 127 S. 12,90 Euro. ISBN: 3-88897-362-7