Geschrieben am 14. Mai 2014 von für Bücher, Litmag

Saša Stanišić: Vor dem Fest

Stanisic_vor dem festAlles richtig gemacht

–Saša Stanišić zeichnet ein ernüchterndes Porträt der Provinz. Von Andreas Pittler

Also damit eines von vornherein gleich klar ist: Saša Stanišić neuer Roman „Vor dem Fest“ ist gut geschrieben. Wirklich gut sogar. Ein zweites Mal beweist sich hier das enorme Talent und das große sprachliche Potential, über das der 35jährige verfügt. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille.

Hat sich Stanišić bei seinem Debüt vor mittlerweile acht Jahren mit dem Elend seiner früheren Heimat (er stammt ursprünglich aus Jugoslawien) auseinandergesetzt, so wendet er sich in seinem zweiten Werk der Trostlosigkeit des Hinterlandes zu. Er führt seine Leserschaft in die Uckermark, jene ländliche Region zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo schon in DDR-Zeiten recht wenig zu holen war. Heute freilich ist der Landstrich gleichsam völlig abgewickelt. In Stanišić fiktivem Ort „Fürstenfelde“ stirbt alles einen langsamen und unbeweinten Tod. Die wenigen Betriebe machen dicht, wer kann, flieht in die Metropolen, zurück bleiben die berühmten „Modernisierungsverlierer“ – Pensionisten, Minderqualifizierte, sozial Schwache – gemeinsam ausgegrenzt von einer gnadenlosen Gier-Gesellschaft. Nicht einmal ein Wirtshaus haben die Ausgegrenzten, im wahrsten Sinn des Worten „Zurückgebliebenen“ mehr, sodass sie in einer Garage ihr Elend in billigem Fusel ersäufen.

Wehmütig erinnert man sich früherer Zeiten, ein kollektives Archiv mithin, dessen Bestand die einzelnen Fürstenfelder durch ihre Erzählungen beständig erweitern. Allerdings gibt es auch ein wirkliches Dorfarchiv, in welches just in der Nacht „vor dem Fest“ eingebrochen wird. Die Legenden, Sagen und Mythen, dortselbst in diversen Büchern und sonstigen Drucken verwahrt, nutzen nun die Gelegenheit, sich buchstäblich selbständig zu machen und geistern hinfort durch den Ort, irrlichternd wie die Menschen, die auf der Suche nach irgendeinem Sinn ein ums andere Mal fehlgehen.

Ab diesem Zeitpunkt zwingt Saša Stanišić seiner Leserschaft vollste Konzentration auf, denn nicht immer ist es leicht, den Perspektiv- und Zeitwechseln in seiner Erzählung zu folgen. Es entsteht ein Panorama an Eindrücken, so prall und verwirrend wie das Leben selbst. Und natürlich bietet der Roman dann auch keine Lösungen an. Er ist vielmehr ein Ausschnitt, der an eine TV-Sendung gemahnt, in die wir zufällig hineingezappt haben. Wir bleiben hängen, verfolgen sie eine Weile mit, und dann kommt auch schon der nächste Beitrag, uns grübelnd und ratlos zurücklassend. Das alles in einer schönen, lakonischen Sprache, wohl gesetzt, beinahe vorzugsschülerhaft, möchte man ergänzen.

Und genau an dieser Stelle beginnt nun jenes Problem, das mutmaßlich dem Autor Stanišić gar nicht angelastet werden darf. Jenes seiner Rezeption. Stanišić hat in einem Jahrzehnt seines Wirkens als hauptberuflicher Autor genau zwei Bücher geschrieben. Er hat aber bislang ein Dutzend Preise gewonnen, wobei angenommen werden darf, dass diesen zahlreiche weitere folgen werden. Bachmann-, Döblin-, Chamisso-, Doderer-Preis, Literaturpreis der Stadt Bremen, Preis der Leipziger Buchmesse, es gibt kaum eine Auszeichnung, die man dem jungen Mann nicht schon übereignet hätte. Das sei ihm von Herzen gegönnt. Es birgt aber auch die Gefahr, das schriftstellerische Talent gar zu früh durch saturiertes Wohlbefinden zu ersticken. Und ja, es stellt sich auch die Frage, ob ein derart mit Würdigungen bedachter Schreiber noch wirklich unbefangen Geschichten erzählen kann. Finanzielle Zuwendungen verändern naturgemäß das Leben eines Autors – vielleicht aber verändern sie auch dessen Werk. Hoffen wir, dass Stanišić den Sirenenklängen widerstehen kann.

Andreas Pittler

Saša Stanišić: Vor dem Fest. Luchterhand, München 2014. 316 Seiten. 19,99 Euro. Zum Blog über das Buch.

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