Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Bücher, Litmag

Saphia Azzeddine: Zorngebete

Saphia Azzedine_ZorngebeteGefangene des Schleiers

– Mit „Zorngebete“ hat die gebürtige Marokkanerin Saphia Azzeddine ein mutiges Buch über das Leben einer Muslima geschrieben, die sich vom Schleier befreit, für die vermeintliche Freiheit verkauft und doch immer auf ganz eigene Weise bei Allah bleibt. Von Karsten Herrmann

Azzeddines junge Ich-Erzählerin Jbara lebt unter ärmlichsten Verhältnissen mit ihrer Familie in einem Ziegenlederzelt im marokkanischen Tafafilt und hütet als „Gefangene des Schleiers“ die Schafe. Übermächtig liegt der düstere Schatten Allahs über diesem Leben und alles ist „haram“, Sünde. Doch schon früh verkauft sich Jbara an den alten Hirten Miloud für süßen Granatapfeljoghurt und Kaugummis. Als sie schwanger wird und ihr von einem Touristenbus ein rosa Koffer von Dior mit Geld vor die Füße fällt, macht sie sich auf in die Stadt. Ihr Kind gebärt sie im Straßenstaub und lässt es zurück, um sich dann als Küchenhilfe, Hausmädchen und Prostituierte durchzuschlagen. Aus dem hässlichen Küken wird die selbstbewusste verführerische „Scheherazade“, die selbst reiche arabische Scheichs verrückt macht.

Trotz ihres Lebens in Sünde hält Jbara ständige Zwiegespräche mit Allah, den sie nicht fürchtet, sondern als Freund sieht und liebt. So sagt sie ihm auf Augenhöhe auch klipp und klar ihre Meinung und geht mit ihm über das Schicksal der Armen ins Gericht. Aber bei ihr gibt es „keine Schuldzuweisungen, keine Ausflüchte“, sondern nur das Leben, das gelebt werden muss – mit allen Höhen und Tiefen und um jeden Preis. Allah kommt dabei ein großer Verdienst zu: „Du warst da, um mir zuzuhören, und das hast du getan.“

SA © Fauve Lapijower

SA © Fauve Lapijower

Emanzipation abseits jeglicher Moralvorstellungen

Saphia Azzeddine, die in Agadir geboren wurde und mit neun Jahren nach Frankreich kam, erzählt in ihrem Roman trotz aller Schwierigkeiten und Demütigungen ihrer Protagonistin auch von einer Emanzipation abseits jeglicher Moralvorstellungen. Ihr Ton ist dabei erfrischend ungeschminkt, lebendig und lakonisch. Gleich zu Beginn lässt sie ihre Ich-Erzählerin so auch warnen: „Ich werde keine Poesie hinlegen, wo keine ist. Ich habe ihnen ja schon gesagt, dass ich arm bin. Das Elend stinkt nach Arsch.“

„Zorngebete“ ist ein bewusst provozierendes Buch, das einerseits für eine radikale Selbstbestimmung gerade auch der Frauen im Islam eintritt und zum anderen für einen von Ehrfurcht befreiten, ganz unverkrampften und lebensnahen Umgang mit Gott und Religion plädiert. Eine tiefer gehende Gesellschaftskritik und Emanzipationsdiskussion ist damit allerdings nicht verbunden.

Karsten Herrmann

Saphia Azzeddine: Zorngebete. Aus dem Französischen von Sabine Heymann. Berlin: Wagenbach Verlag. 122 Seiten. 16,90 Euro. Foto: © Fauve Lapijower.

 

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