Geschrieben am 4. November 2015 von für Bücher, Crimemag

Roman: Wallace Stroby: Kalter Schuss in Herz

__cover_Kalter Schuss_StrobyGo Girl!

Weibliche Berufsverbrecher, überhaupt Berufsverbrecher, wenn sie nicht Angestellte oder Kontraktoren des Organisierten Verbrechens sind, haben seit den Tagen von Charley Varrick – der Don-Siegel-Film mit Walter Matthau ist von 1973 – eher Seltenheitswert. Wallace Stroby kennt die Klassiker des Genres und setzt mit seinen Crissa-Stone-Romanen eine Tradition fort. Sonja Hartl hat sich angeschaut, wie gut er das macht.

Katzen im Kriminalroman haben derzeit einen schlechten Ruf. Aber bei Wallace Strobys „Kalter Schuss ins Herz“ handelt es sich glücklicherweise nicht um einen Katzenkrimi. Die schwarze Katze mit dem ausgefransten Ohr, die eines Tages bei der Protagonistin Crissa Stone auftaucht, ist vielmehr ein Omen für das Unheil, das kommen wird. Denn Crissa Stone hat sich auf eine ‚kinderleichte’ Sache eingelassen – und wie es die Gesetzmäßigkeiten des Kriminalromans erfordern, erweisen sich gerade die todsicheren, kinderleichten Unternehmungen als fatal.

Alles beginnt mit einem Überfall: „Drei Minuten nachdem sie durch den Haupteingang gekommen war, hatte Crissa den Manager und zwei Angestellten mit den Gesichtern auf dem Boden, die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt.“ Zwei Seiten später ist der Überfall vorbei und sind die Räuber auf dem Weg in ihr Versteck, in dem sie Beute aufteilen. Kurz und knapp – getreu der alten Elmore-Leonard-Regel Show don’t tell – steckt man inmitten des Geschehens und war Zeuge eines eindrucksvoll professionellen Überfalls, bei dem die Angestellten überleben und die Räuber schlichtweg die Beute haben wollen. Leider brachte er aber nicht den erhofften Profit, so dass sich Crissa schon bald auf das nächste Unterfangen einlassen muss – sie braucht das Geld, um ihrem Freund und Mentor eine erfolgreiche Bewährungsanhörung zu verschaffen. Und dieser zweite, ‚todsichere’ Überfall auf eine Pokerrunde bringt sie in große Gefahr.

Auf stets gepacktem Koffer

Crissa Stone ist eine Räuberin. Sie stiehlt, weil sie es gut kann und das Leben ihr diesen Platz zugewiesen hat. Sie ist keine Psychopathin oder ein genialischer Bösewicht, sondern eine Berufsverbrecherin, die sich mit Überfällen ihren Lebensunterhalt verdient. Deshalb wägt sie ihre Entscheidungen ab, agiert vorsichtig und vor allem rational – entgegen den vielen dilettantischen Kollegen in der Literatur, die mehr Glück als Verstand haben, weiß Crissa, was zu tun ist und welche Risiken sie eingeht. Deshalb ist für sie auch immer eine Option, aus einer Sache auszusteigen. Crissa erkennt die Grenzen an, die ihr dieses Leben gibt. Deshalb will sie nichts davon hören, dass ihre Tochter einst bei ihr leben könnte, wenngleich sie davon träumt. Ihre Realität besteht aus einem stets gepackten Koffer, sorgfältig verteiltem Geld – und aus Fehlern, die tödliche Konsequenzen nach sich ziehen können.

_stroby-wallace-photograph-credit-photo-by-donna-washburnNach eigener Aussage in dem Interview, das im Nachwort zu „Kalter Schuss ins Herz“ zu finden ist, wurde Wallace Stroby von Ali McGraw zu Crissa Stone inspiriert, die in der Thompson-Verfilmung „The Getaway“ mit Steve McQueen auf der Flucht ist. Als er den Film sah, habe er sich gefragt, was wäre, wenn diese Figur nicht so passiv wäre – das ist eine Frage, die sich (leider) bei mehr als einem Kriminalroman oder -film stellt. Mit Crissa Stone hat er nun eine Figur entwickelt, die deutlich in der Tradition männlicher Protagonisten der hardboiled-Literatur steht. Mit Richard Starks Parker und Garry Dishers Wyatt verbindet sie Professionalität und Unabhängigkeit. Das wird im Roman insbesondere durch ihren Gegenspieler deutlich: Eddie der Heilige, der eher psychopathisch denn heilig ist, wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und will nun seinen Anteil an dem Leben, das er hinter Gittern verpasst hat. Also beginnt er zu töten und zu stehlen, bis er schließlich auf den Überfall auf die Pokerrunde aufmerksam gemacht wird und es fortan auf die Täter und Beute abgesehen hat. Dadurch spitzt sich die Spannung bis zur finalen Auseinandersetzung zu, zugleich untermalt Eddies grausames Vorgehen noch einmal die kontrollierten Aktionen von Crissa. Sie erdet die Geschichte, sie hat klare Grenzen und ist sowohl konzentriert als auch bestimmt, wenn es um ihr Ziel geht.

Crissa Stone ist einfach eine Frau. Punkt.

Obwohl Crissa auf den ersten Blick wie ein weiblicher Gegenentwurf zu Parker oder Wyatt wirkt, spielt ihr Geschlecht zunächst keine große Rolle – sie ist weitaus kontrollierter und auch schlagkräftiger als manche männlichen Kollegen. Aber genau deshalb ist es umso wichtiger, dass sie eine Frau ist: Sie muss ihre Weiblichkeit nicht unter Beweis stellen, indem sie routiniert Männer und/oder Frauen vernascht, ständig flucht oder trinkt. Sie muss nicht tougher sein als ihre männlichen Kollegen, sie muss ihre Unabhängigkeit nicht betonen, sondern sie darf sentimentale Momente haben, sich über Hilfe freuen, sich nach ihrer Tochter sehnen und auf einen Flirt eingehen, den sie aber beendet, wenn es erforderlich ist. Und der Mann geht dann auch einfach, ohne Crissa zu beschimpfen und/oder übergriffig zu werden. So wie es zivilisierte Menschen tun. Crissa Stone ist einfach eine Frau. Punkt. Und sie wird mit genau dieser Selbstverständlichkeit in dem Roman geschildert und entwickelt.

Und Crissa ist der größte Pluspunkt dieses Romans, der voller Verweise und Anspielungen steckt und überwiegend nach bekannten Handlungsmustern verläuft. Wallace Stroby kennt seine Vorläufer, imitiert sie aber nicht, sondern verhaftet seinen Roman im Hier und Jetzt. Routiniert wechselt Crissa die SIM-Karten ihres Handys, verabredet sich in Coffeeshops und achtet (fast immer) darauf, dass auf ihrem Laptop keine belastenden Hinweise zu finden sind. Außerdem steht im Mittelpunkt nicht der eine große Überfall, der geplant und durchgezogen wird, vielmehr nimmt man eine bestimmte Zeit an Crissas Leben teil. Dadurch wird die Welt der Berufsverbrecher zum Alltag, und man erhält spannende Einblicke in dieses Milieu.

„Kalter Schuss ins Herz“ ist der Auftakt zu einer Reihe mit Crissa Stone – und es ist zu hoffen, dass die weiteren Teile auch hierzulande veröffentlicht werden. Denn wenn die Kriminalliteratur eines gebrauchen kann, dann sind es mehr Frauen wie Crissa Stone.

Sonja Hartl

Wallace Stroby: Kalter Schuss ins Herz (Cold Shot to the Heart, 2011). Aus dem Amerikanischen von Alf Mayer. Pendragon Verlag, Bielefeld 2015. Klappenbroschur, 352 Seiten. 15,99 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch hier. Zur Website des Autors hier und zu seinem Blog. Bei Marcus Münterfering beantwortete Wallace Stroby einige „Bloody Questions“.

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Die Crissa Stone Romane:
Kalter Schuss ins Herz (Cold Shot to the Heart, 2011)
Kings of Midnight, 2012 (Herbst 2016 bei Pendragon)
Shoot the Woman First, 2013
The Devil’s Share, 2015

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