Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Litmag

Roman: Leonardo Padura: Die Palme und der Stern

Padura_sternDas Selbstmitleid der Dichter

− Leonardo Padura glänzte im „Havanna Quartett“ mit einer Hymne auf die Freundschaft und der alles durchdringenden Melancholie einer verratenen Revolution. „Der Mann, der die Hunde liebte“ ist ein starkes Stück Zeitgeschichte, in dem Padura die Geschichte von Leo Trotzki und die seines Mörders Ramon Mercader im kubanischen Exil erzählt. Überhaupt ist das Exil ein immer wiederkehrender Topos seiner Literatur. So auch in „Die Palme und der Stern“, die das Leiden des kubanischen Poeten José María Heredia unter dem unfreiwilligen Exil schildert. Das verbindet ihn mit dem Antihelden des Buches – dem Dichter und Wissenschaftler Fernanddo Terry –, der wiederum zu Heredia forscht und auf der Suche nach einem verschwundenen Manuskript ist, dem Roman des Lebens des kubanischen unglücklichen Dichters. Die drei Zeitebenen des Buches – Fernandos Geschichte, die Suche nach dem verschwundenen Manuskript und die fiktive Lebensgeschichte von Heredia verbunden mit der Geschichte der spanischen Kolonie Kuba und ihren Bestrebungen nach Unabhängigkeit – versprechen zunächst Spannung, die sich allerdings beim Lesen so recht nicht einstellen will.

Die Geschichte Fernandos, der achtzehn Jahre im Exil verbringen musste und der nun für vier Wochen nach Kuba zurück kehrt, erinnert zu sehr an die vielen Geschichten des melancholischen Kommissars Mario Condé, der in den meisten Werken Paduras präsent ist. In Bezug auf die Rolle der Freundschaft in seinem, wie er denkt, gescheiterten Leben wie in Bezug auf die Liebe gleichen sich Fernando und Condé allzu sehr. Wie Condé so trifft auch Fernando seine Jugendliebe Delfina wieder, die sich damals für einen anderen entschied, der aber nun verstorben ist. Fernando glaubt, dass einer seiner Freunde ihn damals verriet und damit ins Exil getrieben hat. Die träge Suche nach dem möglichen Verräter ist langatmig und die Verbindung mit dem kubanischen Poeten Heredia ist zu sperrig und konstruiert, bis auf die von Padura beiden zugeschriebenen Eigenschaften der Weinerlichkeit und das endlose Selbstmitleid. Auch leben beide Dichter unter Diktaturen, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten.

Heredias Leben wird als Tragödie mit wenig glücklichen Momenten beschrieben, die er umso teurer bezahlen muss. Im Gegensatz zu Fernando wurde Heredia in der Tat mehrfach von seinen Freunden verraten und verstarb mit knapp dreißig Jahren an Krankheit, Armut und Erschöpfung und vor allem an Traurigkeit. Bereits völlig am Ende schrieb Heredia die wahre Geschichte seines Lebens und verlangte, dass das Manuskript erst 1939 veröffentlicht werden darf, um niemanden der im Text erwähnten Personen zu schaden. Heredia war aktiver Freimaurer, die Freimaurer waren aktiv in den kubanischen Unabhängigkeitskampf verstrickt und das Manuskript war in ihre Hände gelangt, bis sich sein Weg im Dunkeln verlor.

„Die Palme und der Stern“ ist auch ein Plädoyer für kritische Geschichtsschreibung und dekonstruiert die erfundenen Traditionen einer fiktiven Nationalgeschichtsschreibung, der der Roman eine Fiktion entgegen setzt, die beansprucht, der historischen Wahrheit auf die Spur zu kommen. Im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern begann Kuba seinen Unabhängigkeitskampf spät. Das lag auch daran, dass die kubanischen Bürger panische Angst davor hatten, dass ihre Sklaven ihnen folgen könnten. Das Beispiel Haitis – des einzigen siegreichen Sklavenaufstands der Moderne – hing über ihnen wie ein Damoklesschwert und ließ sie ihren auf der Sklavenausbeutung beruhenden Reichtum der Unabhängigkeit vorziehen: „… und begriff ein für alle Mal, dass man nicht auf die Grundbesitzer zählen konnte, wenn man eine Revolution beginnen wollte.“ Die enge Verflechtung des Unabhängigkeitskampfes mit der Freimaurerei ist eine andere Besonderheit Kubas.

Heredia hatte ein reges Liebesleben, das wie sein Leben insgesamt nur von wenigen außergewöhnlichen Glücksmomenten geprägt war, u. a. mit der brasilianischen Prostituierten Betinha, in der er ein Freundin fürs Leben fand, und seiner großen Liebe Lola Junco, die sich aufgrund der Klassenunterschiede und seiner Verbannung nicht erfüllen konnte.

Im heutigen Kuba war das eigentliche Opfer der Repression, die die Gruppe der Freunde, die sich Spötter nannten, auflöste und Fernando ins Exil drängte, nicht der weinerliche Fernando, sondern Enrique, ein schwuler Dichter und Freund Fernandos, der Selbstmord beging oder, das bleibt offen, zufällig von einem sowjetischen Lastwagen überfahren wurde. Als Fernando erkennt, dass er nicht verraten, sondern Opfer seines eigenen Kleinmuts geworden war, findet er zurück zur Liebe und zur Poesie. Heredia, dessen Leid und Kampf hundertsechzig Jahre zurückliegt, hatte keine Versöhnung erlebt. Er hatte mit der Waffe in der Hand für die Unabhängigkeit Kubas und Mexikos gekämpft, während Fernando eigentlich immer nur mit seinem eigenen Leben und dem seiner engsten Freunde beschäftigt war. Deshalb ist die Verbindung der beiden Hauptfiguren über hundertsechzig Jahre hinweg so schwer herzustellen. Vielleicht wäre die Geschichte Heredias und des kubanischen Unabhängigkeitskampfes allein einen Roman wert gewesen, den Alejo Carpentier sicher überzeugender hätte schreiben können.

Elfriede Müller

Leonardo Padura: Die Palme und der Stern (La novela de mi vida, 2002). Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. Roman. Unionsverlag. Zürich 2015. 457 Seiten. 24,95 Euro.

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