Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Crimemag

Roman: Karin Slaughter: Cop Town

Karin Slaughter Cop TownPolizeiroman, weiblich

von Alf Mayer.

Atlanta, November 1974. Morgendämmerung über der Peachtree Street. Der Cop Jimmy Lawson schleppt seinen Partner Don Wesley wie einen Sack Mehl aus der Gefahrenzone. Der Mann über seiner Schulter ist tot, Jimmys Gehirn aber weigert sich, das zu akzeptieren. Die Szene spult vor- und rückwärts. Sie waren überfallen worden. Eine billige Pistole, an jeder Getto-Ecke für fünfundzwanzig Mäuse zu haben. Soviel war das Leben seines Partners also wert. Jimmy hatte alles aus direkter Nähe mitbekommen. „Er wusste, wie eine Waffe funktionierte. Der Schlitten der 25er war bereits durchgezogen gewesen, die Patrone in der Kammer. Die Feder des Abzugs betätigte den Schlagbolzen. Der Bolzen schlug auf das Zündhütchen. Das Zündhütchen aktivierte den Treibsatz. Die Kugel flog aus der Kammer. Die Hülse schnellte aus dem Auswurf.
Der Kopf war explodiert.“

Es ist nicht das Gedächtnis, das ihm das Bild vor Augen führt, wie sein Partner Don neben ihm erschossen wird. Die Gewalt hat sich in seine Hornhäute eingebrannt.

„Er hatte mit ansehen müssen, wie eine Seite von Dons Gesicht sich verzerrte zu nur mehr Farbe und Struktur einer verfaulten Frucht.“
Dann hatte es Klickklick gemacht. Ladehemmung. Sonst würde er jetzt nicht seinen toten Partner durch die Straßen schleifen. Gilmer Street. Courtland. Piedmont. Noch drei Blocks. Sein Knie musste noch drei Blocks durchhalten.“

Er hatte noch nie einer feuernden Waffe in die Mündung gesehen. Der Blitz war eine Explosion von Sternlicht gewesen – Millionen Stecknadelköpfe Licht, die die dunkle Gasse erhellt hatten. Zur selben Zeit hatte er das Klatschen auf seiner Haut gespürt, wie heißes Wasser, doch er hatte gewusst – er wusste -, dass es Blut und Knochen und Fleischfetzen gewesen waren, die seine Brust, seinen Hals, sein Gesicht getroffen hatten. Er hatte es auf der Zunge geschmeckt. Die Knochensplitter hatten zwischen seinen Zähnen geknirscht.
Don Wesleys Blut. Don Wesleys Knochen.“

Karin Slaughter Cop Town englRassismus und Sexismus als Drehmomente

Karin Slaughter – das i im Vornamen hat sie ihrem Vater zu verdanken, der auf -deutsche Frauen(?)namen stand – steigt hart und direkt ein in ihrem Standalone „Cop Town“, das auch im Original so heißt. Mag sie als approbierte Bestsellerautorin unter dem Generalverdacht allzu gängiger Konventionen und griffiger Effekte stehen, so belehrt sie in diesem Buch Kritiker eines Besseren. „Cop Town“ ist der seit Jahren verdammt beste Polizeiroman alter Schule. Keine postmodernen Sperenzchen, gute alte hartgesottene, durchgeplottete Erzählung. Mit dem besonderen – und rühmenswerten – Dreh, nicht nur den Rassismus sondern auch die Frauenfeindlichkeit innerhalb des Polizeikorps als erzählerisch überzeugendes Movens (vulgo: Antriebskraft) zu haben.

Heute, wo Furtwängler, Kommissarin Heller und 200 andere Fernsehheldinnen das Bild einer angeblich mehr oder weniger genderbalancierten Ordnungskraft bedienen, ist es erfrischend und lehrreich, spannend dazu, die Anfänge weiblicher Polizeiarbeit in Breitwandgröße miterleben zu können. „Cop Town“ ist auch eine historische Rekonstruktion, sozusagen ein weiblicher Blick auf die von Vietnamkrieg und gesellschaftlichen Unruhen erschütterte Männlichkeitswelt der „Chorknaben“. Joseph Wambaughs genreprägender Roman erschien 1975, Slaughters Buch spielt Ende 1974. (Ein Abgesang von Thomas Wörtche auf Wambaugh findet sich hier.)

Bevor Wambaugh 1970 mit seinem autobiografisch geprägten „The New Centurions“ den weithin von Ed McBain als Genre geprägten Polizeiroman um die authentische Binnensicht ergänzte und erzählerisch mit prallem Cop-Leben befeuerte, war da schon Dorothy Uhnak. 14 Jahre hatte sie als Detektivin für das New York City Transit Police Department gearbeitet, als sie 1964 mit „Policewoman“ in Erscheinung trat, einer non-fiction-Schilderung ihrer Polizeibiografie. Ihr erster Roman, „The Bait“ (eigentl. Lockvogel, deutscher Titel: Mädchenmord mit Vorankündigung), erhielt 1969 einen Edgar, es folgten „The Witness“ (Die hartnäckige Zeugin )und „The Ledger“ (Was zu beweisen war). Alle drei sehr brauchbare Polizeiromane, ihre Heldin Christie Opara eine Polizeidetektivin, die der Staatsanwaltschaft von Manhattan arbeitete, wie Uhnak selbst das viele Jahre tat.

Als Feldforscherin bei der Polizei

In „Bittere Wunden“ (Criminal) aus der Georgia-Serie, in denen Karin Slaughter ihre beiden erfolgreichen Serien „Grant County“ und „Will Trent“ zusammenführt und Sara Linton und Will Trent gemeinsam ermitteln lässt, gab es bereits einen gewissen Blick auf die Polizeiarbeit in den 1970er Jahren. Die Polizistin dort hieß Amanda Wagner, war knallhart; sie hatte bereits Karriere gemacht und die Leiter hinter ihr hochgezogen. Frauen behandelt sie härter als Männer. Jede Frau kenne solch eine Frauenfigur in ihrem Leben, meinte Slaughter, als ich sie auf diese Figur ansprach. Das Nachdenken über Amanda Wagner und wie sie wohl mit Anfang zwanzig gewesen sei, das sei die Wurzel für „Cop Town“ gewesen, wo sie zwei junge Frauen in den Mittelpunkt stellt. Slaughter hat sich dafür viel Expertise eingeholt, hat sich – wie Wambaugh das immer tat – viel „Cop Talk“ erzählen lassen, mit Polizeiveteraninnen geredet. Eine weitere Quelle: die Dissertation von Patricia W. Remington, die für ihre Feldstudie Polizeibeamte und Beamtinnen aus Atlanta zwei Jahre lang begleitete und die Integration der Polizistinnen aufmerksam verfolgte. Faszinierend und unzensiert seien diese Notizen gewesen, berichtete Slaughter: „It was a fascinating read, mostly because it was written in the 1970s, so there wasn’t the usual struggle for political correctness. Patricia just laid it out how it was.“ Der Titel der Arbeit „Policing: The Occupation and the Introduction of Female Officers. An Anthropologist’s Study“, von Patricia W. Remmington.

Wie Monatsbinden oder Liebesromane …

Nun aber wieder in Karin Slaughters Buch. Es erzählt hauptsächlich drei Tage aus dem Leben zweier junger Polizistinnen, klingt mit dem achten Tag aus, als die Anfängerin der vergangenen Woche bereits eine durch die Hölle der Realitäten gegangene angehende Veteranin ist. „Cop Town“ ist auch ein Initiationsroman. Eingeführt ins Polizistenleben wird Kate Murphy, sie stammt aus gutem, jüdischem Hause, was im Ku-Klux-Klan-Atlanta, auch wenn da jetzt ein schwarzer Bürgermeister im Rathaus regiert, nicht nur gut kommt. Sie ist schon länger Witwe als sie ihren im Überseekrieg gefallenen Mann überhaupt gekannt hat, ihre Erzählung setzt an dem Tag ein, als der Vietnamkrieg zu Ende geht. Der Roman koppelt sie mit der 23jährigen Maggie Lawson, Jimmy aus dem Prolog ist ihr Bruder, ihr Onkel Terry einer von jenen Polizisten, die am Morgen schon nach Alkohol riechen, in der Küche nie die Tür hinter sich zu machen, weil es „ein Nicht-Raum ist – eins jener Dinge, die wichtig für Frauen waren, die Männer aber nichts angingen. Wie Monatsbinden oder Liebesromane.“

Terry ist bekennender Rassist, und „froh, dass die Affen aus dem Zoo noch nicht das Sagen haben. Das hier ist immer noch eine Cop-Town, meine Süße – eine Stadt der Polizisten.“ Nur dass da – wir kennen das aus Ed McBains allerersten Roman vom 87. Polizeirevier – seit Monaten ein Cop-Killer unterwegs ist. Er überfällt Streifenpolizisten, zwingt sie, sich niederzuknien, richtet sie hin. Don Wesley ist sein fünftes Opfer gewesen, Maggies Bruder Jimmy kam wegen der Ladehemmung davon. Für Terry ist es klar: „Das hier ist schlicht und einfach ein Rassenkrieg. Es ist genau, wie ich vor zehn Jahren gesagt habe: Gib ihnen ein bisschen Macht, und sie stürzen sich auf dich wie tollwütige Hunde. Die Macht wieder übernehmen – das ist jetzt unsere Pflicht.“

Er sieht den Rassenkrieg, Maggie und vor allem Kate als Frischling erleben die Unterdrückung. Es gibt eine dritte Erzählperspektive, die des Killers, was den roten Faden von Rassismus, Schwulen- und Frauenfeindlichkeit noch einmal ganz eigen verzwirbelt.

Nur ja nicht an Virginia Woolf und ihre Steine denken!

Schonungslos und ohne Weinerlichkeiten, voll die Härte eben, erzählt Karin Slaughter anschaulich vom Polizeialltag, wie er sich in den 1970ern für Frauen dargestellt hat. Kapitel 2 ist dafür ein erstes Musterbeispiel. Die Härte beginnt bereits mit dem Ankleiden als Polizistin. Strumpfhose ok, schwarze Socken darüber (die aus der Kleiderkammer sind zu dünn, man muss sich selbst dickere besorgen, lernt sie nach der ersten Blase). „Dann stieg sie in die steife marineblaue Hose. Und stieg und stieg … „Oh nein!“

Die Hose war riesig. Sie stand auf, um sich das Debakel im Spiegel anzusehen. Mit straff gezogenem Gürtel würde der Stoff über ihrer Hüfte hängen wie ein Ballon, dem die Luft ausgegangen war. Das war ihr unter Garantie mit Absicht angetan worden. Kate hatte dem Sergeant in der Ausrüstungsabteilung ihre korrekten Maße genannt. Sie war fast eins achtzig groß, also kaum ein winziges Persönchen, doch die Hosenbeine waren so lang, dass sie weit über ihre Zehen hingen.“ Sie steckt sie sich mit Nadeln hoch. Dann sieht sie sich im Spiegel und ist fassungslos: „Sie sah aus wie eine neue Zentauren-Art. Eine Frau, die von der Taille abwärts ein Mann war. Ihr Anblick wäre fast komisch, wenn der Gedanke nicht gleichzeitig so anstößig gewesen wäre.“ Es kommt noch das ebenfalls viel zu große Hemd, der Hosengürtel und darüber der Waffengürtel, weil die Ausrüstung zu schwer für einen ist. Sie versucht, „nicht an Virginia Woolf zu denken, die mit einem großen Stein in der Tasche in den Fluss gewatet war, damit ihr Selbstmord auch wirklich klappte“. Dann die Waffe. Der Gedanke an die Ausbildung und wie sie eigentlich zur Motorradpatrouille gewollt hatte. „Motorradpatrouille! Jetzt muss sie lachen, wie naiv sie gewesen war. Wenn schon die Waffenausbilder keine Frauen unterrichten wollten, dann war die Motorradabteilung gegen Frauen auf zwei Rädern regelrecht feindlich eingestellt. Der Fahrlehrer hatte sie nicht einmal in die Garage gelassen.“

Die Klan-Kutten in den Kleiderschränken

Dann ist Dienstbeginn. Maggie, die mit Terry zur Wache fährt, sieht sich beim Aussteigen einer Mauer aus Terry-Doppelgängern gegenüber: „Die gleichen Bürstenhaarschnitte. Die gleichen buschigen Schnurbärte. Die gleiche Wut in den Schweinsäuglein. Terrys Freunde hießen Bud und Mack und Red und sprachen von der guten alten Zeit wie Priester vom Himmelreich. Sie hatten diverse Exfrauen, wütende Geliebte und erwachsene Kinder, die nicht mehr mit ihnen sprachen. Schlimmer noch, sie waren auf die gleiche Art Polizist wie Terry. Sie wussten immer alles besser als jeder andere. Sie trugen leicht zu entsorgende Waffen in ihren Knöchelholstern. Ihre Klan-Kutten hingen zuhinterst in den ihren Kleiderschränken.“

Slaughter dosiert Kolorit, Milieu und Hintergrund dramaturgisch ohne Fehl und Tadel, „Cop Town“ ist der Roman einer Kriminalschriftstellerin in Hochform. Kapitel 5 weitet den Fokus auf die schwarzen Polizisten. Noch bis vor kurzer Zeit hatten diese „Kollegen“ sich nicht einmal in den Dienststellen aufhalten dürfen, sie hatten keine Streifenwagen, mussten sich anderswo herumdrücken, bevor sie zu einem Einsatz dazu gerufen wurden, wo sie eh nur Schwarze verhaften und Weiße nicht einmal befragen durften. Keine weiße Polizistin würde auch heute noch (wir sind 1974) zu einem schwarzen Cop ins Auto steigen. Bei Männern galt das erst recht. Weiße und schwarze Beamte waren sich nur darin einig, dass Frauen nicht in Uniform gehörten. Also hatten es schwarze Polizistinnen am allerschlechtesten, sie standen ganz ganz unten, mussten sich gar getrennt von den weißen Beamtinnen umziehen.

Kate, die beinahe in einem Meer aus marineblauem Wollstoff ertrunken wäre, weil sich die Heftnadeln am Hosensaum gelöst hatten, bekommt ausgerechnet Jimmy als Partner zugeteilt. „Tu dir selbst einen Gefallen, Süße“, raten ihr die anderen Bullen. „Leg ein Handtuch drunter, wenn du dich von ihm auf der Rückbank seines Streifenwagens ficken lässt.“ Nun, dazu kommt er nicht. Jimmy diktiert ihr erst einmal – buchstäblich – die Regeln. Eine irre Szene, die darin kulminiert, dass Jimmy sie anfaucht: „Was ich will? Ich will, dass du aus meinem Wagen steigst und diese verdammte Uniform ausziehst und dir einen Ehemann suchst und Kinder bekommst und Kuchen backst und das Haus hütest wie eine gottverdammte normale Frau!“

Die Szene, wozu haben wir eine weibliche Erzählerin, endet damit aber nicht. Denn Kate hatte ein Haus, hatte einen Ehemann, hatte ein Leben vor diesem hier.

Kate beißt sich durch, wie auch Maggie das tut. Slaughter erzählt uns ihre Geschichten niemals weinerlich weinerlich, sondern hart, schnell, tough, mit Situationskomik, unerschrocken und unsentimental wie auch ein Ed McBain das getan hätte. Überhaupt, bin ich mir sicher – nach der geballten Wieder-Lektüre aller 55 Romane vom 87. Polizeirevier am Stück darf ich das sagen -, dass der Großmeister dieser Autorin zu diesem Roman gratuliert hätte.

PS. In den USA erschien „Cop Town“ vor den Unruhen von Ferguson (CM-Essay hier) und bevor der Rassismus der amerikanischen Polizei breiter thematisiert wurde. Slaughters Roman leistet hier eine Spurensicherung, als Mainstream-Autorin gibt sie in diesen heutigen Tagen dem amerikanischen Polizeiroman ein politisches und historisches Bewusstsein. Keine kleine Tat.

PPS. Wie es aussieht, wird „Cop Town“ wohl der letzte Slaughter-Roman beim zur Verlagsgruppe Random House gehörenden Verlag Blanvalet sein. Die Abwerbung Slaughters von Penguin Random House war im Frühjahr dieses Jahres der erste große Name für die neue Strategie von HarperCollins, den Bestsellermarkt neu aufzurollen und Weltrechte und Vermarktung für bestimmte Autoren selbst zu übernehmen. (Solche Gelüste und Tendenzen gibt es auch in der Filmverleihbranche, wo US-Majors eben gerne das ganze Geschäft am liebsten weltweit selbst machen wollen.) Die noch junge Deutschlandfiliale von HarperCollins hat gerade zwei weitere Slaughter-Romane auf den Markt geworfen: „Tote Blumen“ am 1. November und „Pretty Girls“ am 7. Dezember. HarperCollins ist der zweitgrößte Publikumsverlag der Welt und derzeit in 18 Ländern aktiv.

Alf Mayer

  • Karin Slaughter: Cop Town (2014). Blanvalet. München 2015. Klappenbroschur. 544 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zu den Reihen der Autorin.

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