Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Litmag

Roman: Imran Ayata: Ruhm und Ruin

Ayata_RUhmundRuinElf Perspektiven auf aktuelle Debatten

Ein Roman in elf Geschichten muss natürlich etwas mit Fußball zu tun haben. Oder umgekehrt, wer über Fußball schreibt, kommt um die Zahl elf nicht herum. Und so, wie es auf dem Platz pro Mannschaft elf Spieler mit ihren ganz eigenen Geschichten gibt, erzählt der Berliner Autor Imran Ayata die elf Teile seines Romans „Ruhm und Ruin“ aus elf verschiedenen Ich-Perspektiven. Von Zoë Beck

Ein Roman in elf Geschichten muss natürlich etwas mit Fußball zu tun haben. Oder umgekehrt, wer über Fußball schreibt, kommt um die Zahl elf nicht herum. Und so, wie es auf dem Platz pro Mannschaft elf Spieler mit ihren ganz eigenen Geschichten gibt, erzählt der Berliner Autor Imran Ayata die elf Teile seines Romans „Ruhm und Ruin“ aus elf verschiedenen Ich-Perspektiven. Alle dieser Erzählerinnen und Erzähler haben eine ganz besondere Beziehung zu einem nicht näher benannten Kiezklub, der einmal auf dem Weg war in die Zweite Liga, den Sprung in den Profifußball dann aber doch nicht schaffte und seither ziemlich angeschlagen vor sich hindümpelt. Die Vereinsgeschichte folgt darin der Karriere des Spielers Arda Toprak: Gastarbeitersohn, unglaubliches Fußballtalent, der Maradonna des Kiez, glänzende Aussichten, aber dann kam die Verletzung, und mit der Verletzung die Angst, und mit der Angst das Aus. Ardas Geschichte ist die erste in dem Roman. Der junge Mann erzählt von den vielen Menschen aus seinem Umfeld, die alle auf seinen Erfolgszug aufspringen wollten, Entscheidungen für ihn trafen, sich weniger um ihn als um ihre eigenen Interessen kümmerten. Er ist großzügig im Verteilen der Schuld. Allen voran: sein Vater, eine Figur, wie man sie auch anderswo in Ayatas Erzählungen finden kann, ein Gastarbeiter, der ein Vorzeigebürger sein möchte, einer, der den Deutschen zeigen will, wie gut er in ihr Deutschland passt. Und ein Fußballverein, ist das nicht eine wirklich deutsche Sache? Gastarbeiterkomplex, nennt das seine Tochter Yasemin, die sich und ihre Brüder als Ausstellungsstücke der ehrgeizigen Eltern empfindet.

Ardas Vater kommt gleich nach dem Jungen zu Wort und schildert seine Sicht auf die Dinge. Natürlich ist ab sofort nichts mehr so klar, wie es zunächst aussah, oder anders gesagt: Man wird mit elf Wahrheiten konfrontiert. Aber immer geht es um diesen einen Fußballverein, der sich in der Hauptsache aus Menschen mit Migrationshintergrund zusammensetzt, mit deutlichem türkischem Überhang. Eigentlich geht es auch gar nicht um Fußball, oder nicht nur. Oder geht es beim Fußball in Wirklichkeit auch gar nicht um Fußball, sondern um Macht, Politik, Neoliberalismus? Ist ein Verein wie dieser Kiezklub multikulti oder bunt oder einfach nur ein Klub? Ist er in seiner Existenz schon politisch, oder kann er sich der Vereinnahmung durch die Politik entziehen? Um welche Politik geht es überhaupt, die in Deutschland oder die in der Türkei, und was ist dann mit der Kurdenfrage, über die niemand reden will?

Imran Ayata (c) Harry Weber

Imran Ayata (c) Harry Weber

Lustiges Migrantenstadl

Imran Ayata lässt Trainer und Sponsor zu Wort kommen, einen deutschen Schiedsrichter von der Begegnung des Vereins mit einem sehr deutschen Klub und dessen Fans berichten, eine Spielerinnenmutter ihren westlich-weißen Feminismus verteidigen, Ardas Schwester Yasemin laut über Sex nachdenken. Ayata bespielt beiläufig auch Themen wie Fußballwetten und Homosexualität und stellt die Frage, ob Sponsoren den Sport nun retten oder kaputtmachen. In der Hauptsache lässt er seine Figuren vor allem an der Frage scheitern, wie Integration nun eigentlich funktioniert.

Richard, das schwarze Aufsichtsratsmitglied, der seinen Verein gern auch mal Migrantenstadl nennt, sagt: „Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich nicht geglaubt, wie Repräsentanten der Migranten-Communitys die Nähe von Thilo Sarrazin suchten. … Sie haben recht, Herr Sarrazin. Es gibt Probleme, aber ich bin nicht Teil davon. Ich bin erfolgreicher Unternehmer, ich bin Soziologin, ich bin Journalistin, obwohl ich einen Migrationshintergrund habe. Genau so funktioniert Rassismus, habe ich gedacht.“ Aktuelle Ereignisse, politische Debatten werden kommentiert und durch elf Perspektiven getrieben. Als Leserin zieht es einem schnell den sicheren Ideologie-Rasen unter den Sohlen weg. Mit den Erzählerinnen und Erzählern wechseln auch die nie zu Wort kommenden, aber angedeuteten Rezipienten. Mal ist es der Psychotherapeut, mal ein Journalist, mal eine unbestimmte Gruppe, für die das Erzählte als Rede gedacht ist. Ayata verändert stets die Sprachregister. Spieler Arda erzählt in überzeugender Jugendsprache, sein Vater wirkt dagegen fast poetisch. Kumpel Giovanni wirft, etwas überzeichnet, mit sehr viel Slang und italienischen Einsprengseln um sich, Yasemin hat die flüssige Sprache einer gut ausgebildeten, klugen jungen Frau.

Die Kurdenfrage bleibt (offen)

Der Roman „Ruhm und Ruin“ endet mit dem Kurden Zafer. In der Türkei hatte er seine viel versprechende Karriere aus politischen Gründen aufgegeben, obwohl Vereine aus der Ersten Liga angeklopft hatten. Nun soll er in Deutschland in dem Kiezklub mitspielen, der Trainer, den alle Komünist Yusuf nennen, versichert ihm, mit dem kurdischen Volk solidarisch zu sein. Doch da ist er, der Elefant im Raum, über den keiner sprechen will: die Kurdenfrage. Wo sind nun Toleranz und Offenheit, wo der Wille zum Miteinander? Was ist mit den eigenen Vorurteilen, wo doch von anderen verlangt wird, keine zu haben?

Wir treffen in „Ruhm und Ruin“ auf Deutsche, die den Hitlergruß machen, und auf Deutsche, die um die Welt reisen und Freiheit und Gleichheit für alle fordern. Wir treffen auf stockkonservative Türken und auf kommunistische. Auf Türkinnen, die vor anderen Mädchen nicht über ihre Menstruation reden wollen, und Türkinnen, die unverbindlichen Sex über die Tinder-App suchen. Auf einen Verein, der sich für die Akzeptanz homosexueller Fußballer einsetzt, und verbieten will, dass sich zwei Spielerinnen öffentlich küssen. Ayata schafft es, dass man alle und keinen versteht, aber am Ende weiß man ganz sicher: Die Wahrheit liegt fast nie auf dem Platz.

Zoë Beck

Die Besprechung ist am 8.11. im SWR-Radio erschienen und Sie können sie sich hier von Zoë Beck vorlesen lassen.

Imran Ayata: Ruhm und Ruin. Roman in elf Geschichten. Verbrecher Verlag 2015. 200 Seiten. 19,00 Euro.

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