Geschrieben am 15. Juni 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: David Ignatius: Ein neuer Feind

978-3-499-27094-9Eine Geheimorganisation in Zeiten der Digitalisierung

Sozusagen ein Gegenstück zu James Gradys „Die letzten Tage des Condor“ – siehe auch das Interview von Sonja Hartl in dieser CrimeMag-Ausgabe. David Ignatius, langjähriger Insider in den Höfen der Macht, Journalist der „Washington Post“ und Autor kluger, wenn auch systemgläubiger Thriller, hat einen neuen Roman vorgelegt. Susanna Mende bespricht ihn für uns.

David Ignatius bleibt auch in seinem achten Spionagethriller „Ein neuer Feind“ seinem Lieblingsthema CIA treu und ist dabei mal wieder ganz nah am Zeitgeschehen. Während im letzten Roman Terrorismusbekämpfung und damit ein äußerer Feind im Mittelpunkt stand, begibt sich Ignatius in seinem neuen Roman tief in die inneren Strukturen der Geheimdienstorganisation, die nun selbst ganz anderen Bedrohungen ausgesetzt ist.

Die CIA, ein von Skandalen erschütterter, demoralisierter Dinosaurier, der den Herausforderungen einer digitalen Welt nicht gewachsen ist, soll durch den neuen Direktor Graham Weber wieder auf Vordermann gebracht werden. Doch ist Weber nicht nur neu auf dem Posten, sondern als ehemaliger, erfolgreicher IT-Unternehmer eine Art Kuckucksei, einer von außen, der mit der Institution und deren Gepflogenheiten nicht vertraut ist. So ist seine – absichtlich – undiplomatische Antrittsrede vor den Mitarbeitern dieser großen Behörde ein Paukenschlag, und Feinde im Innern sind ihm sicher.

Als Sprung ins kalte Wasser erweist sich der Job erst recht, als bereits eine Woche nach Amtsantritt ein junger Schweizer im amerikanischen Generalkonsulat von Hamburg mit beunruhigenden Informationen für Aufruhr sorgt: „Sie wurden gehackt. Ihre Nachrichten werden gelesen. Die werden Sie angreifen. Es gibt Pläne.“

Nachdem Tage später die Leiche des Warners am Elbufer gefunden wird, soll James Morris, Leiter des Information Operation Center bei der CIA, Nachforschungen über den geheimnisvollen, jungen Mann anstellen. Morris genießt den Respekt des neuen Direktors, denn noch vor Amtsantritt hatte er ihm wertvolle Einblicke in die Hackerwelt und seine aktuelle Arbeit bei der CIA geliefert: „Die haben Angst vor mir. Was ich mache, ist ja der Inbegriff des Subversiven. Es kennt keine Grenzen. Es liegt außerhalb aller Zuständigkeitsbereiche. Das schätzt man nicht besonders.“

Natürlich erkennt Weber die Ironie, die darin liegt, dass der einst subversivsten aller Institutionen auf einmal selbst vor einem subversiven System, das kaum zu kontrollieren ist, die Knie schlottern. Nicht, dass es Maulwürfe nicht schon immer gegeben hätte, doch geht es hier um eine politische Dimension, deren Sprengkraft erst mit WikiLeaks und Edward Snowden deutlich geworden ist. Und die alte Garde ist sich schmerzlich bewusst, dass sie nicht so recht weiß, was man dagegen unternehmen soll.

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Doch nachdem Weber Morris auf den Fall angesetzt hat, kommen ihm langsam Zweifel an dessen Loyalität, Zweifel, die von Morris´ Stellvertreterin Ariel Weiss noch genährt werden. Es gibt Hinweise darauf, dass Morris, der zahlreiche Kontakte zur Hackerszene pflegt, sein eigenes Süppchen in Form eines parallel existierenden Netzwerks kocht, wo er, wie man vermutet, von russischer und chinesischer Seite unterstützt wird.

Als Morris längere Zeit von der Bildfläche verschwindet, verdichtet sich dieser Verdacht. Weber wird zum Getriebenen, der den Erfolg eines Umbaus der CIA gefährdet sieht und dringend Verbündete an der Spitze der Hierarchie braucht, jedoch nicht weiß, wem er trauen soll. Obendrein hat er einen mächtigen Widersacher in Person des exzentrischen Cyril Hoffman, Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes und altgedientes und mit allen Wassern gewaschenes CIA-Urgestein. Download (1)Hoffman, der bereits in Ignatius’ Roman „Der Deal“ die Strippen zieht, versucht Weber mit offenen und versteckten Drohungen in Schach zu halten.

Doch geht es nicht nur um eine Neupositionierung der CIA, die den Veränderungen in einer digitalen Welt geschuldet ist, sondern, und hier bekommt der Roman eine interessante historische Dimension: um eine Kurskorrektur, die bis zu ihrer Gründung zurückreicht und von einigen patriotisch gesinnten Personen als dringend notwendig erachtet wird.

Es mag an diesem großen Bogen liegen, den Ignatius hier spannt, dass er den Plot und leider auch seine Figuren darüber vernachlässigt. Sie bleiben seltsam eindimensional, und der Showdown, bei dem die Handlungsfäden schließlich zusammenlaufen, ähnelt mehr einer Verpuffung als einem Feuerwerk.

Kein Pageturner also wie Ignatius letzter Roman, in dem er die exzellent recherchierten Fakten in einen rasanten Plot einarbeitet. Trotzdem ist „Ein neuer Feind“ ein lesenswerter Spionagethriller, der zeigt, dass eine Geheimorganisation in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr allein das Privileg hat, heimlicher Beobachter und – im Falle der CIA –  Akteur zu sein, sondern genauso von außen ins Visier genommen und damit auch beschädigt und bloßgestellt werden kann – und zwar vor aller Augen.

Susanna Mende

ignatius 9780857385147David Ignatius: Ein neuer Feind (The Director, W.W. Norton & Company, 2015) Roman. Deutsch von Tanja Handels. Reinbek: Rowohlt Verlag 2015; 525 Seiten. 9,99 Euro.

Frühere Bücher von David Ignatius:
Operation Beirut (Agents of Innocence, 1987), Rowohlt 2011 (früher: Die Wurzeln der Hölle, List 1988)
Das Netzwerk (Siro, 1991), Rowohlt 2009
Blutgeld (Bank of Fear, 1994), Rowohlt 2010 (früher: Bank der Angst, Marion von Schröder, 1998)
Reporter ohne Auftrag (A Firing Offense, 1997), Blessing 1997
Der König von Washington (The Sun King, 1999), Blessing 2001
Der Mann, der niemals lebte (Body of Lies, 2008), Rowohlt 2008; auch unter gleichnamigem Titel 2008 verfilmt von Ridley Scott mit Leonardo DiCaprio
Der Einsatz (The Increment, 2009), Rowohlt 2010
Der Deal (Blood Money, 2011) Rowohlt 2012.

Susanna Mende bei CrimeMag über David Ignatius:
Klassiker-Check für „Operation Beirut
Lügen haben viele Beine: „Der Deal
David Ignatius – ein Porträt

 

 

 

 

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