Geschrieben am 13. Februar 2010 von für Bücher, Crimemag

Roger Smith: Kap der Finsternis

Blutige Klischees

Kap der Finsternis von Roger Smith hat in Deutschland abgeräumt: Bester Kriminalroman des Jahres bei der KrimiWelt-Bestenliste und zweiter Platz beim Deutschen Krimipreis – hervorragende Kritiken allerorten. Max Annas, der in Südafrika lebt, ist jedoch skeptisch. Ein Kommentar über Rezeption, Nähe und Point-of-View …

Kaum ein Buch in den letzten Jahren, das mich in Atem gehalten hat wie Roger Smith’ Erstling. Der Mann versteht was von Tempo, es schnell zu entwickeln und dann auch noch hoch zu halten. Und auch wenn man das nicht für eine Kunst hält, sondern für eine Technik, dann muss man trotzdem bewundernd feststellen, dass der Mann erzählen kann. Bis zur letzten Szene funktioniert das blendend, wenn Jack Burn, der Amerikaner aus Cape Town, die Sonne sieht und „dann nichts mehr“.

Smith versteht auch eine Menge von der südafrikanischen Gesellschaft, schließlich ist er im Land groß geworden. Also weiß er, worüber er schreibt, wenn er das Buch mit den beiden blutigsten Klischees aus dem weißen Beschwerdekanon eröffnet.

Das ist 1.: Die Schwarzen überfallen uns in unseren Häusern.

Und zum 2.: Die Schwarzen beobachten uns permanent, um festzustellen, wann sie uns überfallen können.

Je nachdem, wo man sich gerade herumtreibt, werden diese Beschwerden unterschiedlich formuliert. In den vielen Leserbriefen, die weiße Südafrikaner schreiben, geht es um die außer Kontrolle geratene Kriminalität und um die Regierung, die nichts dagegen tut, noch nicht mal die Todesstrafe wieder einführt. Das ist noch die harmloseste Form. Auf der Party oder im Pub sieht das schon anders aus. Wenn man unter sich ist, beginnt jeder gesprochene Absatz mit „Since the blacks took over …“. Folgend die üblichen Dinge, siehe oben. Aber wirklich interessant wird es erst in den Foren der Zeitungen, wo anonym nichts so erbittert geführt wird wie die Debatten um die „swaart gevaar“, wie es früher einst hieß. Da steht dann oft nicht mehr „die Schwarzen“, sondern „die Wilden“ oder gar „die Tiere“. Natürlich wird in Häuser eingebrochen. Ob die Bewohner dabei weiß sind, ist den Überfallenden aber meistens egal. Beliebt ist zum Beispiel die Betrachtung, die Armen, die die Mülltüten der Reichen auf Essbares durchwühlen, seien in Wirklichkeit nur daran interessiert, Einbruchshäuser auszuspionieren.

Den ganzen Unsinn kennt Smith natürlich, wenn er uns den Überfall auf die Familie Burn und dazu noch Benny Mongrel präsentiert, der hoch oben auf einer Baustelle hockt und die Burns aus dem Effeff kennt, weil er sie schon so lange beobachtet. Okay, Smith ist ja nicht blöd, er ist schon in der Lage, die Klischees, die er uns schnell hinwirft, ein wenig zu variieren. Die Burns sind zum Beispiel keine Südafrikaner, sondern aus den USA geflüchtet, und Jack Burn ist alles andere als ein Opfer. Dazu sitzt Benny Mongrel auf seinem Beobachtungsposten nicht einmal, um die Burns oder andere Familien auszusponieren, sondern um die Baustelle zu bewachen vor den Dieben des Alltags.

Aber das ist auch schon alles.

Hassbilder

Smith lässt die Hassbilder einfach stehen für uns und arbeitet nicht mit ihnen oder gar gegen sie. Das ist sein gutes Recht, auch wenn sie für Leser und Leserinnen außerhalb Südafrikas kaum zu dechiffrieren sind. Es ist seine Geschichte, und das Südafrika, das er uns zeigt, baut auf dem alten Hass der Weißen gegen die Mehrheit der Bevölkerung auf. Der hat sich ja ohnehin nicht grundlegend verändert in den sechzehn Jahren, in denen Südafrika eine Demokratie ist. Verändert hat sich nur die Position, aus der heraus weiße Südafrikaner ihren Hass formulieren. Es ist eine schizophrene Position, denn hier beschweren sich die (oftmals) Reichen und (meistens auch) Geschützten, dass sich die Armen nehmen, was ihnen auf anderem Weg kaum in die Hände fällt. Darauf bezieht sich Roger Smith eins zu eins.

Wie gesagt, das ist sein gutes Recht. Es ist sein Buch, und es ist sein Südafrika, das er uns zeigt. Man kann die Eröffnung des Buches sogar spannend und ermüdend zugleich finden. Oder das Buch atemlos zu Ende lesen und trotzdem genervt sein darüber. Wie ich.

Max Annas:

Roger Smith: Kap der Finsternis (Mixed Blood, 2009).
Deutsch von Jürgen Bürger und Peter Torberg.
Tropen Bei Klett-Cotta 2009. 356 Seiten. 21,90 Euro.

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