Geschrieben am 1. Mai 2010 von für Bücher, Crimemag

Roberto Alajmo: Mammaherz

Wo Polpette nicht weiterhelfen

Ein längst erwachsenes, sizilianisches Mammasöhnchen, die dazugehörige Mamma und ein entführter Junge stehen im Zentrum von Roberto Alajmos packendem Psychogramm, in dem er – eher nebenbei – von der sizilianischen Gesellschaft erzählt. Frank Rumpel ist begeistert …

Cosimo ist vierzig und betreibt in einem sizilianischen Dorf eine Werkstatt für Fahrradschläuche, die er von seinem Vater geerbt hat. Geld ist damit nicht zu verdienen, zumal er als kauzig gilt. Um die Kasse aufzubessern, sagt er zu, ein von Fremden vorbeigebrachtes Kind bei sich zu verstecken. Er weiß weder, ob es entführt wurde, noch, wer es wann abholen wird. Der Junge, den er da bei sich aufnimmt, ist offensichtlich schwer traumatisiert, krank und verweigert nach und nach Essen und Trinken. Cosimo macht sich Sorgen und weiht schließlich seine Mutter ein, von der er sich nie lösen konnte. Sie nimmt die Sache in die Hand, zieht bei ihm ein, und versucht das Kind mit Broccilione, Pasta coll’acciuga, Polpette al sugo oder Pasta coll tono, Cosimos Lieblingsgerichten aus Kindertagen, zum Essen zu bewegen. Aber der Junge will oder kann nicht essen, wird immer schwächer, und weil sich niemand blicken lässt, um ihn abzuholen, treffen Cosimo und seine Mutter schließlich eine haarsträubende Entscheidung.

Überall Gewalt

Alajmo fächert hier das enge, von reichlich Zwängen geprägte Verhältnis zwischen Sohn und Mutter auf. Cosimo ist ein lethargischer, etwas naiver und weltfremder Zeitgenosse, dem die Mutter zeitlebens die schwierigen Entscheidungen abnahm und der unfähig ist, selbst Verantwortung zu übernehmen. Die Mutter würde schlicht alles für ihren Cosimo tun und zeigt hier, wie weit ihr Mammaherz zu gehen bereit ist.

Wie nebenbei aber erzählt der gebürtige Palermitaner Alajmo hier auch von der sizilianischen Gesellschaft, von einer gut verborgenen und dennoch allgegenwärtigen Gewalt, über die nicht geredet, die nicht hinterfragt wird, weil sie eingebettet, Teil des Lebens ist. Zwar vermuten Cosimo und seine Mutter, dass der Junge entführt wurde, doch wird in den Nachrichten nichts vermeldet. Diese Ungewissheit macht die Sache für beide nur noch schlimmer, lähmt sie und führt zu immer groteskeren Szenen, etwa, wenn Cosimo überzeugt ist, der Kunde mit den zwei platten Reifen an seinem Fahrrad könne nur ein verdeckter Ermittler der Polizei sein.

Die Geschichte ist schlicht, aber alles andere als einfach, sie ist geradlinig, mit ganz wenigen Figuren, an nur zwei oder drei Schauplätzen erzählt, dabei aber so vielschichtig und komplex, dass daraus ein spannendes Gesellschaftsporträt wird. Haarklein zeichnet der Autor und Journalist Alajmo, der beim staatlichen Fernsehsender RAI Sizilien arbeitet, die Befindlichkeiten und Überlegungen seiner Protagonisten nach. Er erzählt leichtfüßig und humorvoll und deckt dabei jene Ängste und Illusionen auf, die deren Welt einbinden und begrenzen. Kurt Lanthaler, der in beiden Sprachen zu Hause ist, hat diese wunderbar eindringliche Geschichte mit viel Gespür für deren Nuancen (das macht schon der Titel deutlich) ins Deutsche übersetzt.

Frank Rumpel

Roberto Alajmo: Mammaherz (Cuore di Madre, 2003). Roman.
Aus dem Italienischen von Kurt Lanthaler.
Zürich: Unionsverlag metro. 252 Seiten. 9,90 Euro.

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