Geschrieben am 11. Juli 2009 von für Bücher, Crimemag

Robert Wilson: Andalusisches Requiem

Gutes Handwerk

Andalusisches Requiem ist der letzte Teil der Tetralogie um den spanischen Polizeiinspektor Javier Falcón aus Sevilla, der vor andalusischer Kulisse stets höchst brisante Fälle lösen muss, nachdem im vergangenen Jahrzehnt an der südlichen Grenze Europas eine Gemengelage entstanden ist, bei der neben organisierter Kriminalität auch Terrorismus eine zentrale Rolle spielt. Susanna Mende ist bereit, über kleinere Macken hinwegzulesen …

Beim Stichwort Terrorismus sind flugs der Spanische Geheimdienst CNI und sogar die englischen Dienste MI5 (Inland) und MI6 (Ausland) im Spiel, was aus dem andalusischen Polizisten einen polyglotten Ermittler macht, der mal eben nach London flitzt, um sich dort mit den Kollegen über die Aktivitäten der GICM (Groupe islamique combattant marocain) auszutauschen, einer nordafrikanischen Terrorgruppe, die eine fundamentale islamistische Regierung in Marokko zu installieren versucht, allerdings von der UNO nach 9/11 verboten wurde und ihre geheime Operationsbasis in Großbritannien hat.

Andalusien mit seinen berühmten Spielplätzen für Reiche wie Marbella und einem nach wie vor boomenden Tourismus ist natürlich bestens geeignet für Investitionen und Abzocke jeder Art. An dieser Stelle kommt dann auch die Lokalpolitik ins Spiel, weil dort die Steigbügelhalter für zahlreiche geschäftstüchtige russische Investoren sitzen, die unterschiedslos an Prostitution und Immobiliengeschäften beteiligt sind.

In Andalusisches Requiem versucht eine Gruppierung der russischen Mafia ihren Geschäftsinteressen Nachdruck zu verleihen, indem sie mit pikanten DVD’s sevillanische Honoratioren und international tätige Geschäftsleute erpressen möchte. Allerdings pfuscht das Schicksal in Form eines Autounfalls dazwischen, und die wertvollen Aufzeichnungen und Koffer mit mehreren Millionen Euro landen bei der Polizei von Sevilla. Der getötete Fahrer des Wagens, ein russischer Mafioso namens Vasili Lukyanov, ist den Behörden bereits bekannt. Dessen Verbindung zu dem russischen Paten Yuri Donstov ist für Falcón von besonderem Interesse, da dieser wiederum zu den möglichen Drahtziehern eines Bombenattentats in Sevilla Beziehungen pflegt, an dessen Aufklärung er arbeitet.

Falcóns Ermittlungen nehmen eine dramatische Wendung, als eine junge Kubanerin brutal ermordet und der jüngste Sohn seiner Freundin entführt wird. Außerdem hält sein alter Freund Yacoub Diouri, den er für den Geheimdienst als Informanten rekrutiert hat, und der aus Sorge um seinen Sohn Abdullah ein doppeltes Spiel spielt, in Atem. Nach einem spannenden Showdown mit einem traurigen Verlust muss Falcón eine wichtige Entscheidung treffen, was seine Zukunft angeht.

Wilson fächert versiert ein höchst komplexes Verbrechenspanorama auf, das trotz Lokalkolorits frei von jedem provinziellen Muff ist. Allerdings ist die Verquickung der privaten Schicksale seiner Protagonisten mit dem kriminellen Geschehen hart an der Grenze des Unglaubwürdigen. Man fühlt sich an die seit Jahren boomenden amerikanischen Fernsehserien erinnert, die dieses erzählerische Mittel bis zur Schmerzgrenze ausreizen, um den so süchtig machenden Soap-Effekt zu erzielen. 24 ist wahrscheinlich das Paradebeispiel für diese höchst manipulative Art, den Zuschauer in den Bann zu schlagen. Wilson beherrscht sein Handwerk in dieser Hinsicht ebenfalls hervorragend.

Susanna Mende

Robert Wilson: Andalusisches Requiem (The Ignorance of Blood, 2009). Roman. Deutsch von Kristian Lutze. München: Page & Turner 2009. 477 Seiten. 19,95 Euro.