Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Crimemag

Richard Rayner: Der Sinn der Rache

Zwischen Schuld, Rache und Gerechtigkeit

Auf den ersten Blick ist Billy McGrath ein typischer „hard boiled“ Detective bei der Mordkommission Los Angeles – genauer in dem Strandviertel Venice, das ziemlich „klein, glitzernd, abgefahren und fies“ daherkommt. An diesem McGrath perlen die unzähligen Toten und zerstörten Schicksale seines Reviers ab wie Regentropfen an einer Öljacke – zu verdanken hat der Detective, der einst Philosophie studierte, dies einem ebenso praktischen wie gefährlichen „Parasiten im Herzen“: „Er frisst die Gefühle auf, bevor sie Zeit haben, ins Hirn zu gelangen. Allerdings stellt sich letztlich die Frage, wer von beiden überleben wird: der Parasit oder der Mensch?“

An genau dieser Frage lässt Richard Rayner seine Story gekonnt zwischen der knallharten, schnellen Oberfläche der Handlung und den verborgenen Abgründen seines Protagonisten oszillieren – denn hier nagt die stille Verzweiflung über ein völlig verkorkstes Privatleben ebenso wie die dumpfe Wut über den Freispruch des charismatischen Schauspielers Charlie Corcoran, den McGrath eines Mordes für schuldig hält.

In dieser Kippsituation wird die Mutter eines stadtbekannten Drogenbosses bestialisch ermordet. Der Sohn bietet McGrath 500.000 Dollar, damit er den Täter ermittelt und ihn dann ans Messer liefert. Vor der klassischen „film noir“-Kulisse eines Los Angeles, das sich durch einen sintflutartigen Dauerregen immer mehr in eine „schaurige, sumpfige Schönheit verwandelt“, kommt McGrath auf eine „elegante, perfekte Lösung“ – mit einem Schachzug will er zugleich für Gerechtigkeit sorgen und seiner von ihm geschiedenen und gelähmten Frau mit der gemeinsamen Tochter ein sorgenfreies Leben ermöglichen. Aber wie das Leben so spielt, laufen die Dinge anders als geplant und entwickeln bald eine hochexplosive Eigendynamik, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben scheint.

Richard Rayner hat mit „Der Sinn der Rache“ einen ebenso spannenden wie tiefschürfenden Thriller geschrieben. Er löst dabei die klassischen Schwarz-Weiß-Muster des Genres auf und verwischt unmerklich die Grenzen zwischen Schuld, Rache und Gerechtigkeit. Sein ungekünstelter, ja zuweilen auch rauer und kantiger Stil verleiht der Story eine authentische Atmosphäre und lässt ihr den kernigen Geruch von nassem, ölglänzenden Asphalt entströmen.

Karsten Herrmann

Richard Rayner: Der Sinn der Rache. Rowohlt 2001, 478 S., 39,30 DM. ISBN 3-498-05749-9.