Geschrieben am 25. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Richard Kunzmann: Brennende Erde

In der Sackgasse

– Südafrika ist ein faszinierendes und komplexes Land. Hoffnungslose Düsternis aber ist dennoch nicht angesagt. Lena Blaudez über Richard Kunzmanns Roman „Brennende Erde“ …

Harry Mason und Jacob Tshabalala, Detectives in Johannisburg, sind ein Ermittlerpaar voller Gegensätze – und sie ergänzen sich hervorragend. Mason ist britischer Auswanderer und daher Außenseiter, gedankenvoll, aber auch handlungsstark. Tshabalala ist stark von der Zulu-Tradition seiner Familie beeinflusst, in ständiger geistiger Auseinandersetzung mit seinem Medizin-Mann-Vater – und gläubiger Christ. Dritte Hauptperson des Romans ist Johannesburg, eine Stadt voller extremer Gegensätze und alltäglicher Gewalt, in die uns Kunzmann mit detailgenauen Facetten hineinversetzt.

Teil 3 ohne Teil 2 – Wunderwelt der Verlagspolitik …

„Brennende Erde“ ist der dritte Teil einer Serie über das Ermittlerpaar Mason/Tshabalala in Jo’burg von Richard Kunzmann, nach „Blutige Erde“ und „Salamander Cotton“. Der zweite Teil ist nicht ins Deutsche übertragen worden. Möglicherweise eine ganz gewiefte Verlagsentscheidung? Wir Leser wissen es nicht, und ärgern uns nur.

Egal – Mason kehrt in diesem Band in den Polizeidienst zurück und arbeitet in der berühmt-berüchtigten Abteilung Kapitalverbrechen, unter Senior Superintendent Russell Swarts, einem beeindruckenden und vielschichtigen Charakter, der seine ganz eigene Rolle in der Geschichte spielt. Mason ist frisch verliebt, im Verlauf der Geschichte entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die sein Leben umkrempelt.

Vernebelt

Angesetzt auf die Aufklärung eines Politikermordes – die verbrannten Leichen eines Politikers und seiner Familie werden in einer Township gefunden –  gerät Mason im Nebel einer Hochebene in eine Schießerei. Er folgt dem Tipp eines Informanten, ein geheimes Waffenlager der Abasindisi, der Gruppe der „Erlöser“, aufzufinden. Der Tipp kommt von Makhe Motale, Masons altem Freund und dann Feind, der damit eigene Interessen verbindet. Motale, intelligent, verbittert und von Geburt an verkrüppelt, war Anführer im Kampf gegen die Apartheid in einer Township. Er ist wie alle Personen und Handlungsstränge des Romans: voller Widersprüche. Die Aktion in den Bergen wird zum Desaster. Wer ist wer? Der Nebel in den Bergen steckt auch in den Köpfen und wird innerhalb der Polizei offenbar zielgerichtet weiterverbreitet.

Mason wird bei der Aktion angeschossen und liegt schwer verletzt im Krankenhaus. In Zentrum Jo’burgs geht eine Bombe hoch. Ein zielgerichtetes Komplott. Aber die Beweise fehlen.

Selbstjustiz

Jacob Tshabalala, langjähriger, treuer Freund und Kollege Masons, nimmt nun die Dinge in seine Hände. Dabei gerät ihm nicht nur sein Privatleben in die Quere. Seine geliebte Frau tändelt mit ihrem Ex-Lover. Tshabalala gerät in jeder Hinsicht an seine Grenzen. Privat, weil seine Ehe zu zerbrechen droht. Moralisch, weil er – beinahe – einen Mord verübt und beruflich, weil er im Teufelkreis von Gewalt und Korruption nicht mehr weiß, auf wen er sich verlassen kann. „Trau keinem, nur weil er dich bisher noch nicht verarscht hat“, ist eine Binsenweisheit im Polizeialltag von Jo’burg. Tshabalala gerät zunehmend in Zweifel. Wo ist die Grenze, innerhalb derer man zum Wohle der Gerechtigkeit nach eigenem Treu und Glauben agieren kann? Selbst immer weiter außerhalb des Gesetzes, gerät er schließlich in kaum beherrschbare Versuchung, Selbstjustiz zu üben. Tshabalala erlebt das gesellschaftliche Dilemma ganz privat.

Dazu bedrängen ihn seine Vorfahren, er erlebt Déjà-vu’s, hört Ratschläge Verstorbener und muss sich mit der Tradition seines Vaters endlich irgendwie arrangieren. Denn seine Familie nimmt ihm übel, dass er die für den Erstgeborenen vorgesehene Berufslaufbahn eines Sagomas, eines spirituellen Heilers, ablehnte und somit nicht in die Fußstapfen seines Vaters trat.

Gewalt erzeugt Gewalt

In Jo’burg dreht sich die unaufhaltsame Spirale der Gewalt, erzeugt aus Verunsicherung und Angst. Die „Erlöser“ (die mit dem Waffenlager in den Bergen) entstanden aus einer Gruppe von Minenarbeitern, die aus der verarmten Provinz Ostkap ausgewandert sind. Sie hatten beschlossen, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen, nachdem die Polizei sich als unfähig erwiesen hatte, ihre Familie und ihren Besitz zu schützen, während sie in den Goldadern schufteten. Auf ihre Rache folgte wiederum Rache, nur noch brutaler. Killerkommandos werden in Dörfer entsandt, Vergeltungskriege tobten. Die Entstehung organisierter Kriminalität  ist unausweichlich und fast jeder versucht, zu profitieren, mindestens sich zu arrangieren. Jedes noch so gut gemeinte Ansinnen scheint unter den herrschenden Bedingungen in Böses umschlagen zu müssen, egal wie sehr der Einzelne strampelt. „Sackgasse“ ist denn auch der sinnvollere Originaltitel des Buches, aber Südafrika muss ja – stellt man sich vermutlich in deutschen Verlagsstuben vor – mindestens bluten oder brennen.

Kunzmanns Südafrika ist komplex. Bürgerwehr, Polizei und Parlament zeigt er als ein Geflecht von Abhängigkeiten und Interessen. Er zeichnet ein düsteres Bild, aber eben nicht nur:  Wärme und Menschlichkeit sind deswegen noch lange nicht suspendiert.

„Brennende Erde“ ist ein intensiver Roman über die alltäglichen Extremsituationen des heutigen Südafrika.

(Gut: Wie Joachim Feldmann hier in seiner Rezension von „Blutige Ernte“ forderte, gibt es nun ein Glossar am Buchende.)

Lena Blaudez

Richard Kunzmann: Brennende Erde (Dead-end Road, 2008). Roman. Deutsch von Silvia Visintini. München: Knaur TB 2011. 560 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Richard Kunzmanns Blog.

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