Geschrieben am 30. Januar 2013 von für Bücher, Kunst, Litmag

Revolutionäre Frauen: Künstlerinnen der russischen Avantgarde, Vivienne Westwood, Pussy Riot

Neue Bücher von und über revolutionäre Frauen, besprochen von Christina Mohr.

Schwestern der RevolutionSchwestern der Revolution

– Noch bis zum 24. Februar ist im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum die Ausstellung „Schwestern der Revolution“ zu sehen, die mit dem Vorurteil aufräumt, dass Kunst zur Zeit der Russischen Revolution (1907 – 1934) hauptsächlich von Männern geschaffen wurde: Suprematist Kasimir Malewitsch und sein schwarzes Quadrat sind bekannt, ebenso Namen wie El Lissitzky oder Alexander Rodtschenko. Aber russische moderne Kunst von Künstlerinnen? Fehlanzeige. Der Weg nach Ludwigshafen bzw. der Blick in den Ausstellungskatalog lohnt daher nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern korrigiert auch die historische Wahrnehmung.

Im Zentrum der Schau steht schon rein mengenmäßig die sehr produktive Malerin Natalja Gontscharowa (1881 – 1962), die mit verschiedenen Stilen wie Rayonismus, Primitivismus oder Kubofuturismus experimentierte, ihre Inspiration aber auch aus traditioneller russischer Volkskunst und Ikonenmalerei schöpfte. Schon früh konnte sie ihre Arbeiten in Russland und international zeigen, bereits 1913/14 gab es in Moskau und Sankt Petersburg Gontscharowa-Retrospektiven zu sehen. Wie viele russische Künstlerinnen entwarf Gontscharowa, die – ungewöhnlich für diese Zeit  – erst mit 55 Jahren heiratete, Bühnenbilder, Modeskizzen und Dekorstoffe, die auch für heutige Augen erstaunlich modern wirken.

Die wahre Avantgardistin und herausragende Gestalterin für Stoffmuster aber war die 1889 in Moskau geborene Kunstlehrerin Ljubow Popowa, deren Arbeiten – sowohl malerisch als auch im Stoffdesign – kubistisch und suprematistisch beeinflusst waren und von einem herausragenden Sinn für Farb- und Raumaufteilung zeugen. Popowa starb im Alter von nur 35 Jahren an Scharlach, kurz nachdem ihre Werke erstmals in Berlin ausgestellt wurden.

Die 1882 in Polen geborene Malerin und Bühnenbildnerin Alexandra Exter konnte aufgrund ihrer vornehmen Herkunft schon als junge Frau Reisen nach Europa unternehmen, wo sie KünstlerInnen wie Pablo Picasso, Guillaume Apollinaire und Sonia Delaunay kennenlernte – viele russische Künstlerinnen der sogenannten Revolutionszeit stammten aus reichen Familien und handelten sie sich dadurch den Vorwurf ein, die Kunst nicht wirklich zu „fühlen“, sondern ihre Motive bei berühmten Europäern abzuschauen und nur zum Zeitvertreib zu malen.

Unbestreitbar und über Kritik erhaben sind jedoch die meisten Werke der Künstlerinnen, die neben den Arbeiten ihrer männlichen Kollegen resp. Konkurrenten mehr als bestehen können.

Nina Gülicher, Reinhard Spieler (Hg.): Schwestern der Revolution. Künstlerinnen der russischen Avantgarde. Hirmer Verlag 2012. Gebunden. 264 Seiten. Viele Abbildungen, zusammengestellt von Karoline Hille, Biografien zusammengestellt von Cara Schweitzer. 39,90 Euro. Mehr Infos zur Ausstellung hier.

Vivienne Westwood_Mehr als die Grand Dame des Punk

Eine wahre Revolutionärin der Mode ist Dame of the British Empire (DBE) Vivienne Westwood, geboren 1941 als Vivienne Isabel Swire in Derbyshire. Sie heiratete jung und war mit 24 bereits geschieden und Mutter eines dreijährigen Sohnes. 1967 trifft sie Malcolm McLaren, bekommt mit ihm einen zweiten Sohn und beginnt -durchaus aus materieller Not – Kleidung für sich und die Familie selbst zu nähen. Schon als Schülerin hatte sie sich für Mode und Nähen interessiert und liebte es, Kleidungsstücke aufzutrennen und wieder neu zusammenzusetzen. I

hr Können und ihr Faible für alte Schnitte kommt ihr zugute: 1971 eröffnet sie mit McLaren ihre erste Boutique auf der King´s Road 430: Let it Rock at Paradise Garage heißt der Laden, der seinen Namen in den folgenden Jahren noch häufig ändern wird, z.B. in Too Fast To Live, Too Young To Die, Seditionaries oder schlicht Sex.,  Vivienne und Malcolm verkaufen stilechte Rock’n’Roll-und Teddy-Boy-Klamotten, weltberühmt wird das Paar als kreative Zelle des Londoner Punk – im legendären Shop auf der King´s Road zu arbeiten, gilt als Privileg und gebiert Szenestars wie Jordan und nicht zuletzt die Sex Pistols. Vivienne Westwood ist so etwas wie die Grand Dame des Punk – und selbstverständlich nicht in dieser Epoche stehen geblieben wie so viele, die sich mit dem Begriff „Punk“ schmücken.

In den frühen 1980er Jahren schwimmt sich Westwood vom Punk-Image frei, entwirft fantasievolle Kollektionen wie die „Pirates“-Show von 1981, die ihr erster Schritt in Richtung High Fashion ist; sie interpretiert historische Kleidungsstücke wie die Krinoline neu und muss sich nicht nur für ihre Landhaus-Kollektion „Nostalgia of the Mud“ viel Kritik gefallen lassen.

Der Rest ist buchstäblich History: heute ist Westwood eine der bedeutendsten lebenden Designerinnen, ihre Schauen spektakulär, mit ihrem aus Tirol stammenden Ehemann Andreas Kronthaler arbeitet die bald 72-jährige unermüdlich an neuen Kollektionen, die häufig explizit politische und ökologische Botschaften transportieren.

Der im Taschen Verlag erschienene riesige Bildband huldigt der Designerin und ihrer Mode – herausgegeben und mit Anmerkungen versehen hat das Werk Terry Jones, seines Zeichens Gründer und Creative  Director des britischen Magazins i-D.

Vivienne Westwood – Curated by Terry Jones. Taschen Verlag 2012. Gebunden/Halbleinen, Großformat. 120 Seiten. Viele Farbabbildungen, Mehrsprachig: Text/Interviews in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch. 29,90 Euro. Zur Homepage von Westwood geht es hier.

Pussy Riot_ Ein Punkgebet fuer FreiheitVorbotinnen der Revolution

Vielleicht wirkt es auf den ersten Blick wenig sensibel, am Ende dieses Artikels die Edition Nautilus-Flugschrift „Pussy Riot! Ein Punkgebet für Freiheit“ zu präsentieren. Die Geschichte ist bekannt: Am 21.2.2012 stiegen fünf junge Frauen in Strickmützen und kurzen Röcken auf die Kanzel der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale (Frauen ist es strikt verboten, diese Kanzel zu betreten) und bretterten einen zweiminütigen Punksong in die Gemeinde, in dem sie die unheilige Allianz zwischen Putin und der Kirche anprangerten.

Zwei der Pussy Riot-Musikerinnen sitzen noch immer in russischen Straflagern, eine von ihnen ist alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes. Hundert Jahre nach der Russischen Revolution sind Kunst (die natürlich immer auch Geschmackssache ist und bleiben muss) und öffentlicher Ausdruck der persönlichen Meinung aus Frauenmündern in Russland offensichtlich und unglaublicherweise gefährdeter denn je. The revolution is yet to come.

Pussy Riot! Ein Punkgebet für Freiheit. Mit einem Vorwort von Laurie Penny. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Häusler. Edition Nautilus 2012. Broschur. 136 Seiten. 9,90 Euro.

Christina Mohr

Tags : , , , , , ,