Das Wandern ist des Mörders
Lust …
Unauffällige, ganz normale Settings und deren kriminelle Potentiale sind die Spezialität von Regina Nössler. Ihr neuer Roman „Wanderurlaub“ beschäftigt sich genau damit: mit dem normalerweise unspektakulären Wandern. Joachim Feldmann wandert wohlgemut mit …
Wer mit der IWO (Internationale Wanderorganisation) auf Tour geht, gehört nicht zu den Ärmeren im Lande. Und das findet der Apotheker Julius auch gut so. Es ist schließlich schon schlimm genug, mit irgendwelchen Pauschaltouristen das Hotel teilen zu müssen. Auch Carina, der ihre Herkunft aus einer Reihenhaussiedlung im Ruhrgebiet noch immer schrecklich peinlich ist, legt Wert darauf, ihre Freizeit in einer sozial harmonischen Gruppe zu verbringen. Das hält allerdings nicht davon ab, immer vorne mitmarschieren zu wollen.
Aktivurlaub …
Eva ist nur Rebecca zuliebe dabei. Am liebsten wäre sie zuhause geblieben, schließlich weiß sie nicht, ob sie nach dem Urlaub noch ihren Verlagsjob haben wird. Doch ihre Lebensgefährtin träumt schon so lange von einem gemeinsamen Aktivurlaub, so dass sie ihr den Wunsch nicht abschlagen mochte. Sorgen um seine berufliche Existenz quälen auch Frank, doch davon ahnt seine Frau Miriam nichts. Wie sollte sie auch – richtige Gespräche führen die beiden schon lange nicht mehr. Also hält sich Frank ans Büffet und schaufelt gigantische Mengen Essbares in sich hinein. Seiner Konstitution ist das nicht gerade zuträglich. Auf die aber kommt es an, wenn man einen Wanderurlaub auf der Kanareninsel La Palma gebucht hat. Wer schwächelt, wäre besser daheim geblieben. Das macht Markus, der mit trotz rapide schwindender Motivation sein Geld als Wanderführer verdienen muss, seiner Gruppe unmissverständlich klar.
Es sind weder besonders sympathische, noch ausgesprochen glückliche Menschen, die sich dafür entschieden haben, ihren Urlaub gemeinsam mit anderen zu verbringen. Keine gute Voraussetzung für eine erholsame Zeit. Zumal sie über das, was sie wirklich bewegt, nicht reden dürfen: Berufliches ist tabu.
… mit Todesfall
Eine schlechtere Tourismuswerbung als Regina Nösslers Thriller „Wanderurlaub“ lässt sich kaum vorstellen. Von Beginn an ist die Stimmung in der Gruppe gespannt und man wartet förmlich auf den ersten Gewaltausbruch. Doch die Autorin hat glücklicherweise keine Vorliebe für blutige Metzelszenen, sondern setzt lieber auf psychologische Spannung. Selbst Tobias, dessen morbides Hobby den anderen Gruppenmitgliedern ziemlich unheimlich ist, entpuppt sich nicht plötzlich als Serienkiller. Als es schließlich doch noch zu einem Todesfall kommt, ist die Aufklärung alles andere als spektakulär. Dennoch mag man den Roman lange kaum aus der Hand legen. Und das liegt an Regina Nösslers Erzähltechnik, die sich durch ausgeklügelte Perspektiv- und Szenenwechsel auszeichnet. Weniger überzeugend ist die rabiate Art und Weise, mit der die Autorin am Ende Evas berufliche Probleme löst. Allerdings gelingt ihr mit dieser erzählerischen Volte ein moralisch äußerst zweifelhaftes Happy End. Und das ist ja auch etwas.
Joachim Feldmann
Regina Nössler: Wanderurlaub. Roman. Tübingen: Konkursbuch Verlag 2013. 379 Seiten. 10,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autorin.