Auf der Höhe der Zeit, mit dem Sinn fürs Wesentliche
Ray Lorigas Roman ist überraschend, plastisch und kraftvoll.
„Man kann ja nicht sein ganzes Dasein damit verbringen, seiner Mutter keine Schwierigkeiten zu machen“ – und Elder Bastidas versucht das auch gar nicht. Die meisten Dinge sind ihm egal, den Rest hasst er und die wenigen Sachen, die er mag, sind Boxen, Fußball und Massenmörder. Er ist Mitte Zwanzig und erledigt – trotz guter Ausbildung auf teuren Schulen – Jobs, „die ein Stück Käse verrichten könnte ohne sich intellektuell zu verausgaben“.
In einer rauhen, teilweise derben Bilanz schildert Elder sein bisheriges Leben: eine Schulzeit voller Brutalität und Erniedrigung, familiäre Katastrophen, die Jahre in gesichtslosen Städten und gesichtslosen Jobs, das gesamte entzauberte Leben um ihn herum. „Die meisten Menschen ertrag ich einfach nicht: Sie laufen herum und fressen und scheißen und machen die ganze Zeit Lärm, unerträglich für jeden“. Als Elder auch noch von seiner wild geliebten Freundin verlassen wird, werden seine Gewaltphantasien konkret. Ein Arbeitskollege, der regelmäßig zum „Mitarbeiter des Monats“ gewählt wird, stört ihn gewaltig…
Natürlich ist Elder Bastidas ein elender Versager und eigentlich müßte Ray Lorigas Buch „Schlimmer gehts nicht“ traurig sein – aber das ist es nicht. Es ist lebendig und witzig, voller skurriler Geschichten, Miniatur-Charakterisierungen und wütender Wahrheiten: „Gute Menschen sind nie damit zufrieden, wie gut sie sind, sie müssen sich auch immer noch darum kümmern, wie böse die anderen sind“. „Schlimmer gehts nicht“ wird über weite Strecken von ungeordneten Erinnerungen und Beschreibungsfetzen durchweht. Häufige Wiederholungen unterstreichen wichtige Erlebnisse in diesem sehr assoziativen Gedankenstrom und Zitate aus Büchern, Zeitungsartikeln sowie Trivialwissen komplettieren den Erzählstil. Eine Mosaikstruktur entsteht, in der die zerstückelten Lebensabschnitte sich durchsetzen und überlagern. Trotzig stellt Elder Bastidas seinen ganz eigenen Wirklichkeitsstil gegen „die Unfähigkeit die anderen zu ertragen und die Unfähigkeit zu ertragen, dass die anderen recht haben“:
„AUF JEDEN FALL: ICH GLAUBE; WAS MAN SICH EINBILDET, HAT VIEL MEHR MIT DER WIRKLICHKEIT ZU TUN ALS DAS, WAS EINEM SO PASSIERT. SCHLIEßLICH IST DAS, WAS EINEM SO PASSIERT, DOCH NICHTS ANDERES ALS EBEN DAS: EIN ZUFALL. ES PASSIERT EBEN“.
Es entsteht ein auf der Höhe der Zeit geschriebener Roman mit dem Sinn fürs Wesentliche und einem völlig eigenen Ton. Selbstironisch kommentiert Loriga die Unabhängigkeit seines ungeduldigen Stils. „Irgendwie wird alles, was ich zu erzählen habe, merkwürdig klingen, weil ich, ehrlich gesagt, Einzelheiten nicht ausstehen kann, sie langweilen mich“. Ray Lorigas Roman ist überraschend, plastisch und kraftvoll. Statt schwafelnder Mediendichter zu sein, ist er mit diesem Buch zu einer glaubwürdigen Stimme seiner Generation geworden – zu Recht gab es in den vergangenen Jahren in Spanien kaum ein literarisches Debut, das mehr Beachtung gefunden hätte.
Jan Karsten
Ray Loriga: Schlimmer gehts nicht: Taschenbuch – 126 Seiten – Rowohlt TB-V., Rnb. Erscheinungsdatum: 1999 ISBN: 3499139995