Mit Eis und Feuer durch Kolumbien
Auf den Spuren von Gabriel Garcia Marquez reiste 1993 eine Truppe von Künstlern und Artisten auf einem selbst gestalteten Zug durchs ländliche, vom Bürgerkrieg gebeutelte Kolumbien und begeisterte mit ihren Gratisvorstellungen. Als Chronist reiste Ramon Chao mit – der Vater des Musikers Manu Chao. Von Frank Rumpel
Das Original dieses Buches erschien vor 14 Jahren, doch wirkt das Unternehmen, das Ramon Chao darin beschreibt heute kaum weniger visionär als damals. Der Konflikt zwischen Regierung, Guerillatruppen, Paramilitärs und Drogenhändlern bestimmt bis heute das Leben in Kolumbien und macht das Land nicht eben zur ersten Wahl für Ferienreisen. Die Organisatoren des Zuges „aus Eis und Feuer“ schreckten die Reisewarnungen nicht. Im Gegenteil: Als er nach der Kolumbien-Tour von Mano Negra 1992 im Land herum gereist sei, erzählt einer der Organisatoren, habe er überall Schienen, aber nirgends Züge gesehen. Seit 1979 hatte die Regierung fast die Hälfte des 3000 Kilometer umfassenden Netzes verfallen lassen. Dadurch waren viele Dörfer von einem günstigen Verkehrsmittel abgeschnitten. Gleichzeitig, sagt er, „wurden sie von der Armee, den Drogenhändlern und der Guerilla erpresst. Damit von etwas anderem, als dem Terror in Kolumbien gesprochen wird, habe ich mir diesen Zug als Bühne vorgestellt, auf der sich die Erzfeinde Feuer und Eis versöhnen.“
Vierzehn Monate brachten Mechaniker eine alte Lok in Bogota wieder in Schuss, gestalteten Studenten der Kunstakademie die 21 Waggons und bastelten Techniker an den Themenwagen. Da gab es einen Waggon, der bei der Einfahrt in die Bahnhöfe außen angezündet wurde, ein anderer barg einen fünf Tonnen schweren Eiswürfel – denn mit einem Eisklotz, den Zigeuner zu Schauzwecken nach Macondo bringen, beginnt auch Garcia Marquez Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“. Es gab die Grotte des Eisbären, einen metallnen Leguan, der Feuer spie, eine Bühne für die Bands French Lovers und Mano Negra, einen Tätowierwagen und einen, auf dem die Trapezkünstler und Artisten ihre Kunststücke zeigten. Eineinhalb Monate reiste die zunächst 90-köpfige internationale Truppe mit 15 Stundenkilometern auf der rund tausend Kilometer langen Route der Eroberer von Santa Marta an der Karibikküste bis ins Andenhochland nach Bogota. In den größeren Orten machten sie Halt und veranstalten ihren Gratiszirkus, der überall mit tausenden von Zuschauern zu einem Volksfest wurde und ganz ohne Zwischenfälle verlief, obwohl sich die Truppe in einem von Guerilla und Drogenhändlern kontrollierten Gebiet bewegte und etliche brenzlige Situationen zu bewältigen hatte. Die fahrenden Gaukler schlugen dennoch wiederholt den Schutz durch Regierungssoldaten aus, um sich von keiner Seite vereinnahmen zu lassen. Als der Zug in Aracata – dem Geburtsort von Garcia Marquez – einfuhr, rief ein Kind: „Da kommt was Unheimliches, so was wie eine Küche, die ein ganzes Dorf hintendrein schleppt.“
Ramon Chao, der Vater des Musikers Manu Chao, begleitete die Tournee als Chronist und meisterte seine Aufgabe mit Bravour, machte aus der Fahrt eine große Reportage. Er hält wohltuende Distanz und schafft es doch, seine Eindrücke intensiv und lebendig, humorvoll und mit viel Sympathie zu vermitteln. Er beobachtet genau, redet mit Leuten und konzentriert sich längst nicht nur auf die Truppe, sondern darauf, wie sie bei den Menschen ankommt. Dazu reiht er die Orte ganz nebenbei in ihren historischen Kontext, erzählt von der Entstehung der Guerilla, dem Massaker, das die Armee 1929 unter Bananenarbeitern anrichtete, dem Tod des Drogenbarons Escobar und den Wünschen und Träumen der Besucher. Denn die können sie im fahrenden „Traumbüro“ in einem Buch notieren. Viele träumen von Frieden und einem Ende der Gewalt. Ein 15-jähriger wünscht sich ein T-Shirt. „Ich brauche eins.“Das Innenleben der Truppe handelt Chao en passant ab. Die Aufgaben sind nicht klar verteilt. Immer wieder wird der Ruf nach einem künstlerischen Leiter laut und gleich wieder abgeschmettert. In den ersten Wochen ist die Versorgung schlecht. Es ist heiß und unbequem und der Jubel in den Städten der einzige Lohn. Zu allem Überfluss sitzt der Unternehmung ständig die Pleite im Genick, denn es sind längst nicht alle versprochenen Sponsorengelder eingegangen. Die Spannungen in der Gruppe nehmen zu, so dass einige unterwegs aussteigen, darunter auch Mitglieder von Mano Negra. Die Band löste sich danach auf. In Bogota ist nur noch die Hälfte der Besatzung an Bord, die aber ist begeistert von der Herzlichkeit der Leute. Jeder, der dabei gewesen sei, habe diese Tour als anderer Mensch hinter sich gebracht, sagte Manu Chao später in einem Interview. „Der Zug war ein fahrender Waffenstillstand, eine konkrete Utopie, die Kolumbien durchquerte.“
Frank Rumpel
Ramon Chao: Ein Zug aus Eis und Feuer.
Mit Mano Negra durch Kolumbien.
(Un train de glace e de feu, 1994)
Aus dem Französischen von Andrea Scheunert.
Edition Nautilus, 220 Seiten, 14,90 Euro.