Geschrieben am 4. Januar 2010 von für Bücher, Litmag

Peter Murphy: Ich, John

Irische Offenbarung

Murphys Irlandbild erstrahlt nicht in sattem Grün, sondern dekliniert Schattierungen von Grau. Falsche Freunde, Korruption und Gewalt lauern versteckt hinter der Fassade der Bürgerlichkeit. Frank Schorneck hat Murphys erfreulich unsentimentales, schwarzhumoriges Debüt gefallen.

„Ich kam während eines Gewitters zur Welt. Meine Mutter sagt, der Donner sei so laut gewesen, dass jeder Schlag sie zusammenfahren ließ, Blitze zuckten, der Wind tanzte Pogo, stundenlang prügelte der Regen vom Himmel, bis sich das Unwetter irgendwann verausgabt hatte und sich verkroch wie ein erschöpftes Tier.“

Stürmisch und düster wie seine Geburt soll auch das Leben von John werden, von seiner Mutter benannt nach dem Lieblingsjünger Johannes, vom Autor mit dem lautmalerisch an „divine“ (göttlich) angelehnten Nachnamen Devine bedacht. Seine kettenrauchende, ebenso trink- wie bibelfeste Mutter hat eine ganz besondere Art von Humor: Zu Ihren lebhaften Schilderungen des Geburtsvorgangs zählt auch das Geständnis einer postpartalen Depression, in der sie den Drang verspürt habe, ihrem Kind ein Kissen übers Gesicht zu legen. Auf die Nachfrage ihres Sohnes, was sie davon abgehalten habe, antwortet sie schlicht: „Du warst noch nicht getauft.“

„Who’s that writin?“

Das Wiegenlied seiner Kindheit ist „John the revelator“, der Song von Blind Willie Johnson, der von den Blues Brothers über Nick Cave bis zu REM von unzähligen Musikern gecovert wurde, und so zieht sich die Frage „Who’s that writin’?“ als ein Motiv durch den gesamten Roman.

Johns Lieblingsbuch ist Harpers Handbuch absonderlicher Naturphänomene. Parasiten, Würmer und Pilze faszinieren ihn. Als Jugendlicher findet er in dem ein Jahr älteren Jamey einen Freund, vor dem brave Jungs gewarnt werden und der ihn mit Rimbaud, Dante und Baudelaire bekannt macht. Stockbetrunken beschließen die beiden eines Nachts, einen Film zu drehen und brechen für Innenaufnahme in die Kapelle ein. Dort kommt es zur Kirchenschändung, an die sich John hinterher nicht mehr erinnert, die er jedoch seinem Freund in die Schuhe schiebt, auf den es die Polizei ohnehin abgesehen hat. Jamey scheint Johns Verrat nicht zu ahnen und schreibt diesem regelmäßige Briefe aus der Besserungsanstalt. Den Briefen beigefügt sind Kurzgeschichten, in denen Jamey kaum verschlüsselt dunkle Geheimnisse des Dorfes offenbart.

Erfreulich unsentimental

Der Debütroman des Dubliner Musikjournalisten Peter Murphy ist gespickt mit biblischen Anspielungen und düsteren Prophezeiungen. Sein Irlandbild erstrahlt nicht in sattem Grün, sondern dekliniert Schattierungen von Grau. Falsche Freunde, Korruption und Gewalt lauern versteckt hinter der Fassade der Bürgerlichkeit. In seiner morbiden Untergangsstimmung baut der Roman eine Spannung auf, die Murphy zum Schluss ins Leere laufen lässt, ein apokalyptischer Showdown, wie er zwischen den Zeilen heraufbeschworen wird, findet nicht statt. Stattdessen endet die ungewöhnliche Mutter-Sohn-Beziehung auf ergreifende aber unkitschige Weise. Wie John seine bereits todkranke Mutter aus dem Pflegeheim schleust, um ein letztes Mal mit ihr einen Pub aufzusuchen, ist erfreulich unsentimental, aber dennoch mit Tiefgang erzählt. Mit Peter Murphy und seinem rabenschwarzer Humor hat die an beachtlichen Autoren nicht gerade arme irische Literatur eine neue hörenswerte Stimme gewonnen.

Frank Schorneck

Peter Murphy: Ich, John (John the Relevator, 2009).
Deutsch von Karsten Kredel
Suhrkamp Taschenbuch 2009. 271 Seiten. 13,90 Euro

Foto © Graham Geogh