Kuba & die Sextouristen
– Noch im Vollbesitz seiner Kräfte hat Fidel Castro auf einem Treffen lateinamerikanischer Staatschefs 1995 im malerischen Anden-Skiort Bariloche endgültig dafür gesorgt, dass Kuba in den Blickpunkt der Sextouristen geriet: Er erklärte, Dank der Errungenschaften des sozialistischen Gesundheitssystems seien Kubas Prostituierte wenigstens gesund. So sind Krimis, die die geilen Böcke dieser Welt aufs Korn nehmen, denen angesichts von Havannas schönen jungen Mulattinnen und Mulatten der Sabber aus den Mundwinkeln tropft, durchaus aktuell. Die Kanadierin Peggy Blair hat sich an das Thema Kinderprostitution auf der grünen Insel gewagt, und Eva Karnofsky fühlte sich von „Die Geister von Havanna“ gut unterhalten, auch wenn Blairs Kubakenntnisse ausbaufähig sind.
Ob Empfangshallen oder Speisesäle – Kubas Geheimdienst hat permanent ein Auge auf das Geschehen in den internationalen Hotels. Hätte Peggy Blair dies beherzigt, hätte ihr Inspektor Ramirez schon sehr bald erfahren, wer in der Nacht, als der neunjährige Arturo Montenegro zuerst brutal vergewaltigt und dann ermordet worden ist, den kanadischen Urlauber Michael Ellis auf sein Hotelzimmer begleitet hat. Und ihr Roman wäre zur Kurzgeschichte geschrumpft. Gleich vorweg: Das wäre schade gewesen, denn „Die Geister von Havanna“ bietet Spannung.
Nix wie Unfug
Nur über Kuba steht vor allem Falsches drin.
Der ältere Bruder des kleinen Arturo ist irgendwann in den Achtziger- oder beginnenden Neunzigerjahren auf einer Landschule von ausländischen katholischen Priestern ebenfalls vergewaltigt worden – auch dies ist ein wesentliches Element des Plots. Nur: Alle ausländischen katholischen Priester sind, nachdem Fidel Castro dies am 10. Mai 1961 in einer Rede angekündigt hatte, aus dem Land geworfen worden, ihre Schulen wurden verstaatlicht.
Es ist immer ein Risiko, einen Roman in einem Land anzusiedeln, das man nur von einem kurzen Aufenthalt kennt. Und noch gewagter ist es, (Gedanken-)Welt und Dialoge eines Mannes aus einem Land zu erfinden, dessen Codes den eigenen fremd sind. Inspektor Ricardo Ramirez kommt zwar überaus sympathisch daher, doch ein kubanischer Polizist ist er nicht. Der trägt nicht Anzug, sondern Guayabera. Und trüge er Anzug, würde er ihn nicht in die Reinigung bringen, denn die gibt es nicht. Und er würde nie behaupten, erst recht nicht gegenüber einem Ausländer wie Ellis, Kubas Gefängnisse seien voll von politischen Dissidenten, denn im offiziellen Diskurs existieren diese nicht. Da gibt es nur Kriminelle. Und niemals würde ein Kubaner seinen Freund fragen, ob er an Geister glaubt. Fragen nach der Religion sind generell tabu, selbst in der Familie. Die zu Weihnachten nicht Huhn, sondern Schwein äße, Spanferkel am Heiligabend und geschnetzelte Montería am Tag danach, genaugenommen. Blairs Fehler-Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Hätte Peggy Blair ihr Buch in einem fiktiven Land mit Zügen von Kuba angesiedelt, hätte sie sich trotzdem ihr Entsetzen über die Mangelwirtschaft und die daraus resultierende Not der Menschen sowie ihre Wut über die Korruption von der Seele schreiben können. Nur hätte sie sich die Blamage erspart, der Unkenntnis geziehen zu werden. Tun wir also so, als spiele der Krimi irgendwo in der Karibik, und wenden uns seinen positiven Seiten zu.
Aber …
Detective Michael Ellis, bei der Polizei in Ottawa für Sexualverbrechen zuständig, hat bei einem Überfall aus Versehen seinen Partner erschossen und selbst eine schwer entstellende Gesichtsverletzung davongetragen. Seitdem steht auch seine Ehe vor dem Aus. In einem Karibik-Urlaub wollen er und seine Frau einen letzten Versuch zur Versöhnung unternehmen. Doch die Gattin reist überstürzt ab, weil sie die bettelnden Kinder auf der Straße nicht erträgt und ihr Mann diese auch noch magisch anzieht, weil er ihnen etwas zusteckt. Auch Arturo Montenegro drückt er Geld in die Hand. Und wird dabei gesehen. Nur wenige Stunden später wird der Junge an der Strandpromenade aus dem Wasser gezogen. Tot und mehrfach vergewaltigt. In Arturos Hose findet Inspektor Ramirez Ellis’ Brieftasche.
Für den Inspektor und seinen Mitarbeiter Sanchez ist der Fall klar: Ellis ist der Täter, denn das Sperma auf dem Laken seines Hotelbetts stimmt mit dem im Rektum des toten Arturo überein. Und Ellis kann dem wenig entgegenhalten, hatte er sich doch nach der Abreise seiner Frau in einer Bar volllaufen lassen, Filmriss inbegriffen. Und die Frau, mit der er dort zusammen war und die ihn anschließend zum Hotel begleitete, ist unauffindbar.
Der Hotelpage sagt zudem aus, Ellis sei nach dem Mord allein ins Hotel gekommen, und er hat auch sonst niemanden gesehen, der die leere Kapsel des Betäubungsmittels, das man in Arturos Blut gefunden hat, unter Ellis’ Bett deponiert haben könnte. Ellis wandert also in Untersuchungshaft. Und Inspektor Ramirez muss binnen 72 Stunden, so will es das Gesetz, eine Anklageschrift präsentieren.
Ellis’ Chef, von dessen Unschuld überzeugt, schickt die des Spanischen mächtige Anwältin Celia Jones in die Karibik, um möglichst zu verhindern, dass gegen seinen Detective Anklage erhoben wird. Denn eines ist sicher: Wird Ellis erst von der Polizeizelle in ein gewöhnliches Gefängnis überstellt, ist sein Leben keinen Pfifferling mehr wert: Mit ausländischen Kinderschändern, Polizisten zumal, machen die Mitgefangenen kurzen Prozess. Und kommt Ellis vor Gericht und wird verurteilt, droht ihm die Todesstrafe.
Alles ganz anders
Für Celia Jones, die selbst mal Polizistin war, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, und Blair erreicht, dass der Leser mit ihr und dem bedauernswerten Ellis fiebert. Celia gewinnt, doch nach ihrem Sieg stellt sie fest, dass die Dinge ganz anders liegen, als sie und Inspektor Ramirez vermutet hatten. Und jetzt wird es erst recht aufregend.
Zusätzliche Spannung baut Blair auf, wenn sie Ramirez – er leidet unter Halluzinationen, ihm folgt ein toter alter Mann ‒ glauben lässt, er sei wie seine Großmutter an Lewy-Körper-Demenz erkrankt und habe nur noch kurze Zeit zu leben. Schließlich kann der gutmütige, über jede Korruption erhabene Familienmensch Ramirez aber noch dazu beitragen, ein in Kanada begangenes Verbrechen aufzuklären.
Bleibt noch zu erwähnen, dass man sich ein sorgfältigeres Lektorat des Buches gewünscht hätte, das Wortwiederholungen rausgestrichen und den Leser vor unsinnigen Sätzen wie „wie die meisten Dinge werden die Touristen auch hier bevorzugt behandelt“ bewahrt hätte.
Eva Karnofsky
Peggy Blair: Die Geister von Havanna. Inspector Ramirez ermittelt (The Beggar’s Opera, 2012). Roman. Deutsch von Juliane Pahnke. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 2014. 445 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Peggy Blair. Mehr zu Eva Karnofsky.