Geschrieben am 28. November 2012 von für Bücher, Litmag

Paul Lukas: Vinyl

Durch nasskalte Pipelines kriechen

– Paul Lukas, Gründungsmitglied der Band „Element of Crime“, schreibt mit „Vinyl“ seine Lebensbeichte: Wer noch Illusionen über das Geschäft mit der populären Musik hat, dem wird die Lektüre von „Vinyl“ unbedingt empfohlen. Von Joachim Feldmann

Berlin kurz vor der sogenannten Jahrtausendwende. Ein Mann Anfang 40 hadert mit der Welt. Und mit sich selbst. In den Achtzigern war er so etwas wie ein Popstar wider Willen. Als Bassist einer Rockcombo, die sich in dieser an skurrilen Bandnamen nicht armen Zeit „Sonntagsmörder“ getauft hat, erlebt er einen rasanten Aufstieg: von der dilettantisch aufgenommenen Platte im Eigenvertrieb zum chartstauglichen Profiprodukt bei einem Major Label, von schlecht bezahlten Auftritten in Szeneclubs und Jugendheimen zu umjubelten Konzerten vor mehreren tausend Fans.

Glücklich wird er dabei nicht. Und dies nicht nur, weil eine energieraubende Amour fou ihn immer neuen Wechselbädern der Gefühle aussetzt. Miese Unterkünfte, mieses Essen, fiese Plattenbosse – das Leben als aufstrebender Rockmusiker ist kein leichtes. Und die entsprechenden Mengen Drogen und Alkohol machen es auch nur zeitweise erträglich.

Kein Wunder, dass die Karriere unseres Helden irgendwann abbricht. Als wir ihn kennenlernen, verdient er sein Geld „als A&R-Manager einer drittklassigen Plattenfirma“. Doch bis auf One-Night-Stands mit untalentierten jungen Frauen auf der Suche nach einem Plattenvertrag kommt dabei nicht viel herum. Was so ein Kerl tut: Er säuft und gibt sich schmerzlich-süßen Erinnerungen an seine großen Zeiten hin.

Hoher Authentizitätsgrad

Der Autor dieser leicht larmoyanten Lebensbeichte weiß, wovon er spricht. Paul Lukas war Gründungsmitglied der Band „Element of Crime“, für die er bis zu seinem Ausstieg 1995 die Bassgitarre zupfte. Metaphernverliebt und meinungsstark lässt er seinen namenlosen Ich-Erzähler vom Leder ziehen. Das liest sich so: „Wir spielten konsequent unseren Stiefel herunter, provozierten die Hölle des fröhlichen Pogo mit unserer trotzigen, raumgreifenden Zähflüssigkeit, krochen durch nasskalte Pipelines, wälzten uns im Schlamm, erforschten tropfsteinerne Ruinen, verschnauften auf brüchigen Brücken, das Schlimmste in lässiger Gleichmut erwartend“ (über einen Auftritt).

Oder so: „So lange sie sich nicht für Kleopatra hielt, würden die süßen Momente des Glücks ihre gelegentlichen Ausritte ins künstlich bewässerte Flachland der Hysterie mit Sicherheit locker aufwiegen“ (über seine Geliebte). Aber auch so: „… vom Ehrgeiz zerfressene Leistungssportler des Musikgeschäfts in der Tradition Al Di Meolas und John McLaughlins, von segensreichen Gitarrenhalsreinigern wie Paco de Lucia ganz zu schweigen“ (über andere Musiker).

Das ist über weite Strecken recht unterhaltsam, wird aber gelegentlich auch ein bisschen langweilig. Fast wie die Wirklichkeit eben. Denn da die Lebenserfahrungen des Autors beim Verfassen dieses Romans keine unwichtige Rolle gespielt haben dürften, können wir einen hohen Authentizitätsgrad vermuten. Wer also noch Illusionen über das Geschäft mit der populären Musik hat, sollte „Vinyl“ unbedingt lesen.

Joachim Feldmann

Paul Lukas: Vinyl. Roman. Wien: Milena Verlag 2012. 232 Seiten. 19,90 Euro.

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