Geschrieben am 17. März 2005 von für Bücher, Litmag

Paul Ginsborg: Berlusconi

Mann der Vorsehung

Er ist weder ein Diktator noch ein Demokrat, weder ein Faschist noch ein Liberaler. Silvio Berlusconi repräsentiert einen neuen Typus von Politiker, der seine Karriere ausschließlich der aggressiven Nutzung der ihm gehörenden Massenmedien und der Hilflosigkeit einer traditionellen Demokratie verdankt.

Italien – Land der Wunder. Irgendwo zwischen Bozen und Lampedusa geschieht in jedem Monat ein Wunder. Da heilt ein frommer Prediger durch bloßes Handauflegen angeblich einen Schwerkranken. Dort wird der Mutter Maria für Hilfe in großer Not gedankt. Blut eines seit Jahrhunderten toten Heiligen verflüssigt sich, oder mitten im Winter blüht eine Rose im Schatten eines Wegkreuzes. Und zu den italienischen Wundern müsste man eigentlich auch Silvio Berlusconi zählen. Nichts spricht mehr für seinen Verbleib im römischen Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten. Aber der unentwegt für politisch tot erklärte „Mann der Vorsehung“ (Berlusconi über sich selbst) ist dort immer noch Hausherr und könnte es – vielleicht – sogar noch einige weitere Jahre bleiben. Die wirtschaftliche Situation Italiens hat sich seit seiner Amtsübernahme deutlich verschlechtert. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch einen großen Teil der organisierten Arbeitgeber hat er gegen sich. Gegen ihn laufen immer noch Korruptionsverfahren, deren Ausgang ungewiss ist. Die außenpolitische Bedeutung Italiens geht, trotz der immer aufwändig zelebrierten Busenfreundschaft Berlusconis mit Bush und Putin, gegen Null. In seiner „Casa della Libertà“, dem Haus der Freiheit, spricht der eine Nachbar kaum noch mit dem anderen. Die großen städtischen Metropolen des Landes werden entweder von Kandidaten der linken Opposition regiert oder von konservativen Kommunalpolitikern, die in Distanz stehen zu den politischen Schaumschlägern von „Forza Italia“.

Herr der Medien

Der in Florenz lebende englische Politikwissenschaftler Paul Ginsborg ist zu aufgeklärt-nüchtern, um an Wunder zu glauben. Auch ist er kein großer Freund von den vielen, immer wieder aufgewärmten Verschwörungstheorien in den Reihen der erklärten Berlusconi-Gegner. Anekdoten etwa über das chronische Minderwertigkeitsgefühl des an Statur kleinen Ministerpräsidenten nimmt er zwar zur Kenntnis, aber mit ihnen lässt sich die Erfolgsgeschichte des Entertainers, Bauspekulanten, Medienkaufmanns und Politikers Silvio Berlusconi nicht erklären. Aus einem wenig spektakulären Mailänder Mittelstandsmilieu stammend hat sich Berlusconi mit unglaublicher Hartnäckigkeit, einer oft atemberaubenden Schlitzohrigkeit, aber auch, wie vielfach dokumentiert, nicht ohne kriminelle Energie „nach oben“ gekämpft. Wäre er jedoch nur skrupellos und eiskalt, wie ihn viele linke Kommentatoren hinstellen, dann könnte man nicht erklären, warum er bei den Wahlen in der Vergangenheit immer eine so große Zustimmung bekommen hat. Berlusconi, so eine der zentralen Thesen von Ginsborg, beherrscht in einem doppelten Sinn die Medien, vor allem aber das heute alles überragende Bildmedium Fernsehen. Die national sendenden Privatfernsehanstalten gehören ihm fast ausnahmslos. Und in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident und unumstrittener „Leader Maximo“ der regierenden Mitte-Rechts-Regierung hat er inzwischen auch das staatliche Fernsehen RAI, von wenigen Nischenprogrammen abgesehen, gefügig gemacht. Dass einige Tageszeitungen, vor allem die auflagenstarke „La Repubblica“ in scharfer Opposition zu Berlusconi stehen, berührt ihn relativ wenig, solange das Fernsehen nur die für seine Interessen richtigen Bilder und Botschaften sendet. „Die symbiotische Beziehung zwischen Berlusconi und dem Fernsehen ist als grundlegend anzusehen, wenn man ihn verstehen will“ ( Ginsborg ). Man muss sich nur einmal die (quälende) Zeit nehmen, für wenige Stunden Sendungen in Fernsehkanälen des Berlusconi-Imperiums anzusehen, um eine Vorstellung von dem Ausmaß an konformistischer Entpolitisierung großer Teile der italienischen Bevölkerung zu bekommen. Und Berlusconi beherrscht meisterhaft in seinen Medien wie in der Politik diese unentwegte Stimulation von immer neuen Träumen und niemals zu befriedigenden Sehnsüchten.

Dass mit dieser medialen Inszenierung von Politik gleichzeitig auch die Grundlagen jeder demokratischen Politik mit ihrer schwerfälligen, aber unverzichtbaren Gewaltenteilung zerbrochen werden, beklagt Paul Ginsborg lakonisch und überzeugend. „Die Logik demokratischer Politik und die Logik des Fernsehens passen nicht zusammen.“ Wer am konkreten Fall Italien studieren will, wie eine rechtsstaatlich- parlamentarische Demokratie mit einer großen zivilen Geschichte kontinuierlich durch aggressiv formulierte private Interessen unterspült wird, soll, nein muss die Berlusconi-Studie von Paul Ginsborg lesen. Dass die Übersetzerin Friederike Hausmann dem Buch noch ein fundiertes Glossar mit Begriffen zum Verständnis der aktuellen italienischen Politik angefügt hat, erleichtert die Lektüre für neugierige Nicht-Italien-Kenner sehr.

Carl Wilhelm Macke

Paul Ginsborg: Berlusconi. Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg. Aus dem Englischen von Friederike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach 2005. Taschenbuch. 191 Seiten. 11,90 Euro. ISBN 3-8031-2497-2