Tiefere Bedeutung als Drohung
Was ist das denn? Katalanischer postmoderner Unfug, die neue Offenbarung des Kriminalromans, ein fahler Scherz oder ein nettes Lektürevergnügen von fast 600 Seiten? „Im Namen des Schweins“ heißt das dickleibige Teil, stammt von Pablo Tusset und ist vornehmlich sehr eigen. Von Thomas Wörtche
Der Reihe nach: Im Namen des Schweins fängt an wie ein klassischer Kriminalroman, Subgenre: Serialkillerroman mit Schauderquibbereffekt. In einem kleinen spanischen Bergdorf wird in einer hochmodernen, als sciencefictionhaft geschilderten Schlachtfabrik die Leiche (resp. viele, viele, viele Teile) einer Frau gefunden, lege artis transportiert, geschlachtet und zerlegt wie ein Schwein, mit einem Zettel im Mund: „In Namen des Schweins“. Die Polizei ermittelt. Dieser Handlungsstrang ist glasklar, einfach und nicht mal unspannend.
Im Laufe der Ermittlungen und durch den Erzähler und durch das ganze production design bedingt baut sich allmählich ein Unterboden an „intertextueller“ Bedeutsamkeit auf. Das kleine Bergdorf nördlich von Barcelona heißt San Juan del Horlá und falls uns nicht sofort Guy de Maupassants Fantastik-Klassiker Der Horla einfällt, lernen wir, dass Maupassant in diesem Dorf wahnsinnig geworden sei. Was natürlich Unfug ist. Maupassants „geistige Umnachtung“ war Syphilis-induziert, und sein „Horla“ ist eine brasilianische Vampirvariante, die per Schiff eingereist ist. Aber Mystifikationen machen eben viel Spaß.
Dann liegen auch noch die „Cantos de Maldoror“ im Auto eines der Hauptverdächtigen herum, was vermutlich eine Ungeschicklichkeit unter (leider manchen) anderen der Übersetzung ist: Entweder hätte man den Originaltitel dieser „Bibel“ des Surrealismus nehmen müssen: Les Chants de Maldoror oder eben den deutschen Titel – aber wer nach einer tieferen Bedeutung dieses Prosadeliriums von Isidore Ducasse alias Lautréamont für unseren Roman sucht, wird zwar im Vierten Gesang auf die Freuden eines Ichs stoßen, das sich in ein Schwein verwandelt hat, aber das isses dann auch schon.
Genauso wie der rechte Flügel des Triptychons von Hieronymus Bosch, „Der Garten der Lüste“, eine Dreiergruppe mit einem Schwein als Nonne zeigt und natürlich die Grobgliederung des Buches – Hölle und Paradies, „in der Welt“ – impliziert, aber nichts sonst. Auch der Polizist Berganza ist nur namentlich mit dem sprechenden Hund aus Cervantes’ Novelas Ejemplares verwandt (und damit auch mit dessen Ableitung in den Fantasiestücken in Callots Manier von E. T. A. Hoffmann).
Möge eine schwarzromantische Kohärenz hineininterpretieren wer will, aber ein Kalauer sollte zu denken geben: Eine Figur, die Suzanne Ortega heißt, kann sich den Spruch nicht verkneifen: „Wie Ortega y Caset, der Erfinder des Tonbandgeräts.“ Soweit – sicher habe ich noch ein paar Anspielungen übersehen – zur intertextuellen Geste. Tiefere Bedeutung als Drohung, sozusagen. Denn wer den Roman auf irgendeiner Metaebene liest, liest daneben.
Vom Kriminalroman zum fantastischen Roman
Es gibt einen zweiten Strang: Kommissar Pujol, eine der Hauptfiguren des Romans und zunächst der federführende Ermittler in der Schweinesache, später aber Pensionär, hat einen Ziehsohn. Dieser Ziehsohn, mal T, mal P genannt, ist ebenfalls bei einer Mordkommission, aber ausgebrannt und gerade auf Bildungsreise in New York. Nebenbei ist er Psychopath und Mörder. Das bekommen wir peu à peu mit, wenn wir ihm durch Manhattan folgen und um das Schicksal einer jungen Lady bangen, in die er sich verliebt.
Später im Roman, das ergibt den dritten Strang, geht T/P undercover nach San Juan del Horlá, um dort die festgefahrenen Ermittlungen abzuschließen. Er quirlt das bedrohlich-dumpfe, verschlossene Dorfleben durcheinander (Tusset inszeniert das Dorfleben ganz klassisch: Die Dörfler sind seltsam, vielleicht debil, misstrauisch, eigenbrötlerisch – nur um dieses Klischee wieder zu brechen: Die meisten Dörfler sind Zivilisationsflüchtlinge aus ganz anderen sozialen Kontexten), und er mordet weiter. Während sein Ziehvater Pujol bei einem Autounfall ums Leben kommt, zerfällt der Ziehsohn in zwei Persönlichkeiten, deren eine sich umbringt und deren andere den Mordfall der geschlachteten Frau aufklärt.
Damit ist aus einem lupenreinen Kriminalroman ein lupenreiner fantastischer Roman geworden, den man nicht „realistisch“ zurück-interpretieren kann, wie man´s auch dreht und wendet. Der zwischendurch intertextuell aufgebratzelte Metaroman, diese rein literarische Hilfskonstruktion, ist im Grunde der wirkliche fake. Und das ist sehr komisch.Im Namen des Schweins ist also ein extrem unterhaltsames Buch. Weil es glücklicherweise eine ganze Menge guter Geschichten zu erzählen hat und weil es ironisch mit den eigenen makrostrukturellen Ironien umgeht, ist es auch ein gelungenes Buch. Ein Einzelstück, um das zu betonen. Würden wir es im gegenwärtigen Trend der Pseudoliterarisierung von Kriminalliteratur lesen, wäre es ein abscheulich fades Buch.
Also muss man schon aufpassen, ob man überhaupt eine Schublade aufmachen will. Deswegen – la définition, c´est moi: Im Namen des Schweins ist ein fantastischer Kriminalroman.
Thomas Wörtche
Pablo Tusset: Im Namen des Schweins (En El Nombre Del Cerdo, 2006). Roman. Ins Deutsche von Ralph Amann. Frankfurter Verlagsanstalt 2008. 565 Seiten. 19,90 Euro.