Geschrieben am 18. Juli 2009 von für Bücher, Crimemag

P.D. James: Ein makelloser Tod

Narbe wegoperiert, Leben ausgehaucht

Der Tod einer prominenten Enthüllungsjournalistin in einer exklusiven Privatklinik erinnert zwar an Agatha Christies betuliches Whodunit-Rätselraten in der Mausefalle, doch P.D. James’ Ein makelloser Tod liefert auch scharfsinnige Bestandsaufnahmen einer Gesellschaft im Umbruch. Von Peter Münder

Schon im ersten Satz wird der Tod der ebenso bekannten wie gefürchteten Enthüllungsjournalistin Rhoda Gradwyn angekündigt, doch P.D. James lässt es in ihrem neuesten Roman mal wieder gemächlich angehen: Erst nach 150 Seiten hat die 47-Jährige, die sich in einer exklusiven Privatklinik in Dorset eine hässliche Narbe vom prominenten Schönheitschirurgen Chandler-Powell wegoperieren lässt, der Exitus ereilt. Sie ist in ihrem geschmackvoll eingerichteten Tudor-Zimmer im mondänen Manor House erdrosselt worden.

Wir sind hier in einer Kulisse, die an Tante Agatha Christies beschaulichen Mikrokosmos erinnert: Kaminfeuer flackern behaglich, große Porträts in der Ahnengalerie sorgen für ein geschmackvolles Ambiente, der Tee kann jederzeit auf dem Zimmer serviert werden. Als Täter kommt nur einer der in dieser abgeschirmten exklusiven Enklave lebenden sieben Personen in Frage. Doch den wackeren Dienstmännern in Dorset, die gleich mit den Ermittlungen beginnen, wird der Fall sofort wieder entzogen und an Commander Adam Dalgliesh übergeben. Der ist bei der inzwischen 89-jährigen P.D. James immer noch im Dienst und für besonders heikle Mordfälle mit VIP-Opfern zuständig, denn dem erfolgreichen, kompetenten Commander und Freizeit-Lyriker mit dem speziellen Faible für Architektur und Kirchenmusik wird ein spezieller Promi-Bonus gewährt. Auch seine ehrgeizige, anhängliche Mitarbeiterin Kate Miskin ist noch dabei. Doch dann gibt es einen weiteren Todesfall, ausgerechnet in einer defekten Tiefkühltruhe findet man einen Toten, der mit der Journalistin befreundet war. Will hier jemand den guten Ruf der Privatklinik ruinieren? Geht es hier um den Rachefeldzug eines von der Journalistin verleumdeten Opfers? Nun muss akribisch ermittelt werden, wer wann wo Zugang zur Klinik hatte und wie glaubwürdig die Alibis sind …

Wer die quicklebendige und äußerst belesene P.D. James einmal beim Interview erlebt hat und dabei ihre sarkastischen Sottisen über Agatha Christie oder Dorothy Sayers („für beide war Mord eher ein Witz oder eine subtile Kreuzworträtsel-Variante, Mord ist aber ein sehr ernstes Geschäft“) mitbekam, der spürt bei der Lektüre der James-Krimis aber auch die zweite, kritisch-analytische Dimension unter dem schönen Schein und dem harmlosen Small Talk.

Kulisse …

Jedenfalls kommt die ländliche Pfarrhaus-Idylle, vom Lyriker Rupert Brooke noch während des Ersten Weltkrieges mit elegischer Inbrunst idealisiert, für Baroness James nur noch als Kulisse für eine eher komische Szenerie in Frage: „Steht die Kirchturmuhr auf zehn vor drei und ist zum Tee Arsen dabei?“, mokiert sich die „Queen of Crime“ gern über Brookes Gedicht The Old Vicarage, Grantchester.

Zu ihren Lieblingsautoren gehören weder Chandler, Shakespeare, Dostojewski oder Hammett, sondern einzig und allein Jane Austen, weil die laut P.D. James sehr subtil Beziehungsprobleme beschreibt, mit sanfter Ironie gesellschaftskritische Dimensionen einer materialistisch orientierten Klassengesellschaft andeutet und den „impliziten“, zwischen den Zeilen lesenden Leser nie unterschätzt. Wenn P.D. James dann lange Passagen aus Emma oder Pride and Prejudice („It is a truth universally acknowledged that a single man in possession of a good fortune must be in want of a wife“…) mit glänzenden Augen zitiert, hat man den Eindruck, die alte Dame hätte gerade auf dem Jägerball mit dem attraktiven Darcy auf dessen Landsitz Pemberley den Eröffnungstanz absolviert. Diesen sublimierten, auf den herben Kontrast zwischen Schein und Sein abzielenden „Jane Austen-Faktor“ hat P.D. James in ihren letzten Krimis immer stärker in die Texte eingebaut und nun in ihrem 20. Roman Ein makelloser Tod mit direkten Verweisen auf Passagen in „Emma“ angesprochen. Denn der Commander heiratet schließlich seine große Liebe Emma (!) und da sind schon moralisierende Überlegungen zum großen Glück angebracht, wenn der Organist nach dem Hochzeitsgottesdienst in Cambridge Variationen zu einer Bach-Fuge improvisiert: Ist es wirklich so „erbärmlich“, wenn die Braut am Hochzeitstag kaum weißen Satin, kaum Spitzenschleier vorweisen kann? Oder ist das „vollkommene Glück“ als innerer Wert nicht an diesen plumpen Äußerlichkeiten auszumachen?

… Puzzle …

Den schnellen Weg zum Glück des Lesers verliert die Autorin leider allzu oft aus den Augen, wenn sie, ganz auf das bedächtige Zusammensetzen biografischer Puzzleteile bedacht, lang und breit banale Details aus dem Leben jeder unwichtigen Randfigur vor uns ausbreitet. Stark kitschverdächtig sind auch die ins larmoyante driftenden Passagen, die sich über die „Vergänglichkeit des menschlichen Lebens“ auslassen. Wenn Dalgliesh einen Spaziergang ans Meer macht, dann hört man unwillkürlich schon den Hegelschen Weltgeist in der Brandung röhren: „Immer wenn Dalgliesh in die Nähe des Meeres kam, fühlte er sich davon angezogen wie das Tier am Wasserloch. Seit der Mensch zum ersten Mal aufrecht an einem Ufer stand, rührte seine alte Klage unermüdlich, blind, gleichgültig, durch all die Jahrhunderte hindurch an eine Unzahl von Gefühlen und erinnerte nicht zuletzt, so wie in diesem Moment, an die Vergänglichkeit …“ usw.

… und kein Plot

Die skeptischen, gesellschaftskritischen Ansichten der Reporterin Rhoda Gradwyn über eine im rapiden Umbruch befindende Zeit dürften auch die von P.D. James sein. Als Rhoda anlässlich der erneuten Heirat ihrer Mutter während der Hochzeitsfeier die ihr völlig unbekannten Gäste betrachtet, gerät sie ins Grübeln über die Konflikte einer unbarmherzigen Klassengesellschaft. „Diese Menschen hatten erleben müssen, wie ihr schlichter Patriotismus verspottet, ihre Gesinnung verachtet, ihre Ersparnisse entwertet worden waren. Sie haben keinen Ärger gemacht. Und wenn sie sich beklagten, dass ihnen ihre Städte fremd geworden waren, ihre Kinder in überfüllten Schulen erzogen wurden, in denen neunzig Prozent der Schüler kein Englisch sprachen, hielten ihnen die anderen, die ihr Leben unter wohlhabenderen und angenehmeren Umständen führen durften, Vorträge über die Kardinalssünde des Rassismus. Von keinen gewieften Steuerberatern geschützt, waren sie die Milchkühe eines habgierigen Fiskus.“

Bekannte Figuren, gemischte Gefühle: Den bedächtigen, kultivierten Dalgliesh, das faszinierende Lokalkolorit düsterer ländlicher Dorset-Regionen, auch das zwischen Verehrung, Liebe, Neid und Hass fluktuierende Gefühlskostüm einiger Figuren hat P.D. James wieder einmal recht ansprechend präsentiert. Wenn nur nicht die schwülstigen, für das Kalenderblatt fabrizierten Moraltraktate und die abschweifenden Exkurse ins verstaubte Biografie-Archiv wären, aus dem all die Details herausgeklaubt werden, die für den Plot völlig belanglos sind. Von einem spannenden Plot kann also nicht die Rede sein. Der bleibt hier völlig auf der Strecke und ist als drittes Opfer zu beklagen – wahrlich kein makelloser Tod!


Peter Münder

P.D. James: Ein makelloser Tod (The Private Patient, 2008) . Deutsch von Walter Ahlers und Elke Link. München: Droemer 2009. 553 Seiten. 19,95 Euro.