Geschrieben am 7. Januar 2007 von für Bücher, Litmag

Oscar A. H. Schmitz: Das wilde Leben der Boheme

Einsamkeit, Suchen, Irrtümer, Zweifel…

Oscar A. Schmitz zeigt sich in diesem wunderschön aufgemachten Tagebuch-Band als ein aufschlussreicher Prototyp der Moderne, der diese explosionsartig hereinbrechende Epoche mit all ihren Hoffnungen, Ängsten und Neurosen auf geradezu klassische Weise verkörpert.

Thomas Mann nannte den heute weithin vergessenen Oscar A.H. Schmitz einmal einen „hervorragend gescheiten Schriftsteller.“ Schmitz begann seine literarische Karriere an der Schwelle zum 20. Jahrhundert im „fin de siècle“ und verkehrte in München, Berlin, Paris und London mit vielen führenden Vertretern der Kunst- und Kulturszene wie Stefan George, Franziska Reventlow, Hugo von Hofmannsthal oder Edvard Munch. Sein breites Oeuvre aus Gedichten, Dramen, Erzählungen, Essays und Tagebüchern entstand in einer Zeit, in der sich auf allen geistigen Ebenen radikale Um- und Aufbrüche ankündigten – von der Philosophie über die Psychologie und Physik bis zur Literatur und Kunst.

Als ein Spiegel dieser Zeit werden jetzt vom Aufbau-Verlag erstmals auch die Tagebücher Oscar A. Schmitz in drei Bänden herausgegeben. Der jetzt erschienene erste Band umfasst dabei die Jahre von 1896 bis 1906. Er setzt zu einem Zeitpunkt ein, an dem sich Schmitz als 23jähriger das Scheitern seiner akademischen Ambitionen eingesteht und seinem „Hang zum Dichterischen“ nachgibt. An dieser persönlichen Wende nutzt er das Medium des Tagebuchs zur Bilanzierung, Selbstvergewisserung und durchaus auch schon künstlerischen Selbststilisierung.

Suche nach Bestimmung und künstlerischer Form

Zwischen ausschweifendem Bohemeleben und aristokratischem Dandytum sucht der durch sein väterliches Erbe finanziell abgesicherte Oscar A. Schmitz in dieser Zeit nach seiner existentiellen Bestimmung und künstlerischen Form. Er führt in den Kaffeehäusern und Künstlerkneipen der europäischen Metropolen ein ruheloses Leben, saugt die Kunst vergangener und gegenwärtiger Zeit wie ein Schwamm auf und findet Kontakt zu vielen illustren Künstlern, Schriftstellern und Halbwelt-Existenzen.

Doch trotz oder gerade wegen aller Freiheiten und offen stehenden Möglichkeiten bleiben der Zweifel und die Unsicherheit allgegenwärtig. Exemplarisch für diese Zeit beklagt er auch ständig seine „hastende Neugier“ und eine „Hypertrophie der Hirntätigkeit“, die ihn vom Genuss des alltäglichen Daseins und seinem Ziel – „Einfachheit, große Linien…“ – immer wieder abhalten.

Neben der intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit sich und seiner Zeit erleben wir Schmitz in seinen Tagebüchern aber auch als eifrigen Bordellbesucher, Kokotten-Freier und gescheiterten Ehemann, der seine Probleme und Auseinandersetzungen mit seinen Exfrauen in extenso ausrollt. Abgesehen von diesen phasenweise doch ermüdenden Schilderungen seines Beziehungslebens zeigt sich Oscar A. Schmitz in diesem wunderschön aufgemachten und vorbildlich edierten Tagebuch-Band jedoch als ein aufschlussreicher Prototyp – ein Prototyp, der die explosionsartig hereinbrechende Moderne mit all ihren Hoffnungen, Ängsten und Neurosen auf geradezu klassische Weise verkörpert: „Einsamkeit, Suchen, Irrtümer, Zweifel an sich selbst, vielleicht zeitweilige Rückkehr zu den alten Göttern…“.

Karsten Herrmann

Oscar A. H. Schmitz: Das wilde Leben der Boheme. Tagebücher 1896 – 1906. Aufbau-Verlag, 480 S., 58 Euro.