Geschrieben am 25. Januar 2012 von für Bücher, Litmag, Lyrik

Norbert Hummelt: Pans Stunde

Die Vorstadt in Gedanken

– Hummelts Lyrik kommt Brigitte Helbling schüchtern vor, seine Sprache hat der ihren aber durchaus etwas angetan. Die Folge ist ein Erlebnisbericht mit Fußnoten.

Manche Gedichte sind wie freundliche Wegelagerer, springen einen an, bringen einen unerwartet zum Lachen. Ähnlich verhält es sich mit bildender Kunst – beim Gang durch eine Bildergalerie verrät  das unwillkürliche Lachen, ob ein Gemälde, ein Objekt mit einem sprechen will. Natürlich ist sich die kulturelle Menschheit weder in Fragen des Humors noch des Kunstgeschmacks einig. Der eine mag Sol LeWitt, der andere will lieber die spanische Tänzerin in Öl. Solange die Verblüffung etwas zählt, ist das egal.

Angesprungen wird der Leser in Norbert Hummelts Gedichtband „Pans Stunde“ selten. Seine Gedichte gleichen höflich verschlossenen Türen, die auf das Klopfzeichen des Lesers warten, um sich zu öffnen. Hinter den Türen breiten sich sorgsam geordnete Welten aus. Hübsch sind sie, aber schüchtern. Wären Gedichte eine Schulklasse, es fielen einem viele ein, die Hummelts Stimme übertönen müssten.

Nehmen wir „vita brevis“, ein kurzes Gedicht (wie fast alle in dem Band hat es auf einer einzigen Seite Platz), das bei eingehender Betrachtung beinah perfekt erscheint in seinem flüchtigen Hin und Her zwischen beiläufiger Erinnerung und dem Hörensagen zum Leben eines Nachbarn. Das 15-Zeilige Epitaph auf einen unscheinbaren Menschen beginnt so

„frühmorgens stand er mit dem landfunk auf; während
er neues von viehmärkten hörte, zog er sich den dunklen
anzug an […]“

15 Zeilen – fünf Strophen. Jede Strophe hat drei Zeilen. Diese Dreizeiler mag Hummelt, sie finden sich in vielen Gedichten in „Pans Stunde“. Nicht, dass der Satzverlauf im Gedicht sich an die Zeilenlänge hielte oder seine Reime (ja, hier gibt es auch Reime) hübsch ans Ende positioniert wären. Ganz im Gegenteil. Reime finden sich gerne mal in der Zeilenmitte, oder sie schieben sich im Laufe des Gedichts unauffällig von einem Ende der Zeile zur andern.  Die letzte Strophe von „vita brevis“ sieht zum Beispiel so aus

„da fuhr ich ihn flott mit dem auto nach haus, laß, ich
steig schon an der ecke aus.  mann aus der flakhelfer-
generation; starb, hinterließ weder tochter noch sohn.“

Was fällt auf? Die alte Rechtschreibung („laß“) PLUS konsequente Kleinschreibung. Hommagen an tote Dichter winken. Wie kommt es aber, dass Hummelt die gereimte Strophe nicht so notiert, wie es einem weniger raffinierten Dichter fraglos aus der Feder geflossen wäre, nämlich so

„da fuhr ich ihn flott mit dem auto nach haus,
laß, ich steig schon an der ecke aus.
mann aus der flakhelfergeneration;
starb, hinterließ weder tochter noch sohn.“

Die Antwort lautet: Aus purer Kunstfertigkeit. Aus vier mach drei – so funktioniert hier die Ökonomie der Verflechtung. In andern Gedichten wird auch mal aus fünf  Zeilen drei, wobei die fünf dann unregelmäßig lang geraten wären, die drei dagegen sich ebenmäßig aneinander schmiegen.

Ich habe über Tage und Tage immer wieder in „Pans Stunde“ gelesen, sah hier ein Bild, das mir gefiel, dort eine schöne Wendung, und kam in die lyrischen Objekte doch nicht richtig rein, so dass ich am Ende an die Ranken um Dornröschens Schloss denken musste. Die teilten sich in der Zeitperiode des Hundertjährigen Schlafs auch nicht für jeden. In den Dornen steckenbleiben und elendiglich verrecken muss man bei der Lyrik aber nicht, man kann auch einfach weggehen und beim Wiederkommen prüfen, ob diesmal die Rosen für einen blühen wollen[i].

„die blaue stunde brach eben an, als ich mit der regionalbahn
kam. vom hansahochhaus, dem backsteinbau, leuchtete
weit die klosterfrau, der zug fuhr langsam, bald rollte er ein[…]“

Was liebenswert bleibt: Der feine Witz des lyrischen „Ich“, oft begleitet von einem dunklen Unterton. Hoffentlich geht es ihm im nächsten Gedicht nicht wieder schlechter, denkt man manchmal beim Umblättern der Seite, als sei der Erzähler ein Freund mit bekanntem Hang zur Melancholie.

Was auch sein kann: Ist das, was hier als Melancholie gedeutet wird, vielleicht nichts weiter als die weitgehende Abwesenheit von Abenteuern, der natürliche Grauton der Vorstadt im Gedanken? Es wird spaziert und Bahn gefahren, die Mutter ausgeführt und das Kind umsorgt, ansonsten passiert wenig. Muss ja auch nicht, sagt mit Recht das höflich zurückhaltende Gedicht.

Was einem dabei einfällt: Hummelt ist nicht der einzige Vertreter der dichtenden Moderne, dessen Lyrik weniger mit dem Leser als mit sich selbst zu reden scheint, ein bisschen wie ein Tagebuch, das unabsichtlich absichtlich offen herumliegt – Heute Bahn gefahren. Vaters Grab besucht. In dieser Nacht den Schlaf nicht gefunden. – damit ein namenloses „Du“ auch weiß, wie es dem „Ich“ gerade geht:

                                                                                        “ […] hörst
du denn gar nicht, wie ich um mich weine? wenn jetzt das
licht angeht, kann ich doch nichts dafür. aber ich wälze mich
kann mich nicht rühren. ich täte alles, griffest du nach mir.“

Die Ranken verschließen sich. Die Dornen pieksen. Für mich sind hier nicht mehr viele Rosen zu holen.[ii]  Anderen geht es anders: Lyrikleser schätzen Hummelt, Juryrichter bestücken ihn mit Preisen, Hochschulleiter setzen ihn zur Unterweisung der schreibenden Jugend ein und als Herausgeber von Anthologien ist er ebenfalls gefragt. So berichtet es der Klappentext nebst einem Foto, das den Dichter (geboren 1962) als sympathisch lächelnden Menschen am Schreibtisch zeigt.

Was möchte man ihm entgegenhalten?

„An manchen Tagen, wenn ich nicht mehr kann schaue
ich nur noch die brandmauer an […]“

Antikische Helden auf Reittieren, die sich in Skelette verwandeln,  gefallen mir. Blutflecken, die sich mysteriös in Salons ausbreiten, gefallen mir. Oder auch nur die Jugend auf der Suche nach Erleuchtung, die stattdessen unentwegt billige Preisausschreiben gewinnt. Meine lyrischen Prinzessinnen mag ich gerne verwegener – aber das ist natürlich auch Geschmackssache.[iii]

Brigitte Helbling

Norbert Hummelt: Pans Stunde. Gedichte. München: Luchterhand 2011. 96 Seiten. 16,99 Euro.


[i] vielleicht bin ich bei Hummelt ja nicht richtig reingekommen, aber er durchaus bei mir: So blumig gebärdet sich meine Sprache sonst nicht. – u. die kleinschreibung!

[ii] schon wieder! vgl. die anmerkung oben.

[iii] drum lese jeder selbst den Hummelt: wir können dazu nur raten.

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